Das mohnrote Meer - Roman
in seine Kajüte, suchte eine Garnitur Kleider heraus und legte sie zur Begutachtung auf seine Koje. Der Spaß daran, sich mit fremden Sachen zu schmücken, hatte sich bereits abgenutzt, und Zachary sah niedergeschlagen auf die Kleider hinab: ein blauer Frack aus feinem Serge, schwarze Nainsukh-Hosen, ein Hemd aus Dosuti-Stoff und ein weißseidenes Halstuch. »Jetzt reicht’s aber, Serang Ali«, sagte er müde. »Ich hab genug davon, den Dandy zu spielen.«
Sofort wurde Serang Ali gebieterisch. Er nahm die Hosen und hielt sie Zachary hin. »Muss trag«, sagte er mit leiser, doch keinen Widerspruch duldender Stimme. »Malum Zikri jetz eins-a pakka Sahib. Muss geh schön Kleid.«
Zachary war überrascht, mit wie viel Überzeugung Serang Ali das sagte. »Warum?«, fragte er. »Warum in aller Welt ist dir das so wichtig?«
»Malum muss sein pakka Sahib«, sagte der Serang. »All Laskar will Malum Kebbin-Mann werd, komm Zeit.«
»Wie?«
Blitzartig wurde Zachary klar, warum seine Verwandlung dem Serang so wichtig war: Er sollte werden, was kein Laskare jemals sein konnte – ein »Free Mariner«, die Art Sahib-Offizier, die sie »Malum« nannten. Für Serang Ali und seine Leute war Zachary fast einer von ihnen, doch er hatte die Möglichkeit, eine Rolle zu übernehmen, die für jeden von ihnen undenkbar war; sie wollten seinen Erfolg ebenso um ihrer selbst wie um seinetwillen.
Zachary begriff allmählich, welche Verantwortung ihm da aufgebürdet werden sollte. Er setzte sich auf seine Koje und schlug die Hände vors Gesicht. »Du hast nicht die leiseste Ahnung, was du da von mir verlangst«, sagte er. »Vor sechs Monaten war ich noch der Schiffszimmermann. Durch glückliche Umstände hab ich’s bis zum Zweiten Steuermann geschafft. Aber Kapitän – das kannst du vergessen. Da wird nichts draus, niemals.«
»Kann mach«, sagte Serang Ali und reichte ihm das Dosuti-Hemd. »Komm Zeit, kann mach. Malum Zikri richtik Schlaumann in-drin. Kann werd Gentlem.«
»Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich das kann?«
»Zikri-Malum kann red pakka-Sprach, nein?«, sagte Serang Ali. »Hab hör Zikri-Malum red wie Sahib mit Mista Doughty.«
»Was?« Zachary warf ihm einen Blick zu: Dass Serang Ali sein Talent, mit verschiedenen Stimmen zu reden, bemerkt hatte, beunruhigte ihn. Es stimmte schon: Wenn es sein musste, konnte er so gewählt sprechen wie jeder Anwalt; nicht umsonst hatte seine Mutter ihn immer bei Tisch bedienen lassen, wenn der Hausherr, sein leiblicher Vater, Gäste hatte. Andererseits war ihr auch schnell mal die Hand ausgerutscht, wenn sie allzu verstiegene Allüren bei ihm zu entdecken meinte; sie hätte sich im Grabe umgedreht, wenn sie gewusst hätte, dass ihr Sohn irgendwo den feinen Pinkel markierte.
»Wenn Kadett will, kann nach-nach werd pakka Gentlem.«
»Nein.« Nachdem er sich so lange gefügt hatte, riss Zachary jetzt der Geduldsfaden. »Nein«, sagte er und warf den Serang aus seiner Kajüte. »Jetzt ist endgültig Schluss mit dem Affentheater.« Er warf sich auf seine Koje und schloss die Augen, und zum ersten Mal seit Monaten wandte sich sein Blick nach innen und seine Gedanken wanderten über die
Ozeane zurück zu seinem letzten Tag in der Gardner-Werft in Baltimore. Er sah wieder das Gesicht mit dem ausgestochenen Auge vor sich, die von einer Handspake aufgerissene Kopfhaut, die blutüberströmte dunkle Haut. Als sei es erst gestern gewesen, sah er vor sich, wie Freddy Douglass von vier weißen Zimmerleuten umzingelt wurde; er hörte die hasserfüllten Schreie »Macht ihn kalt, den verdammten Nigger, schlagt ihm den Schädel ein«, und sah, wie er und die anderen farbigen Männer, allesamt Freie, im Gegensatz zu Freddy, sich zurückgehalten hatten, vor Angst wie gelähmt. Und er erinnerte sich auch, dass Freddy sich hinterher nicht beklagt hatte, weil sie ihm nicht zu Hilfe gekommen waren, sondern sie beschwor, sich aus dem Staub zu machen: »Es geht um die Arbeit; die Weißen wollen nicht mit uns arbeiten, egal, ob wir Sklaven sind oder nicht; sie haben Angst um ihr tägliches Brot, deshalb drängen sie uns raus.« Da hatte Zachary beschlossen, auf der Werft aufzuhören und auf einem Schiff anzuheuern.
Zachary stand auf und ging zur Tür. Draußen stand noch immer der Serang. »Okay«, sagte er müde. »Komm wieder rein und tu, was du nicht lassen kannst. Aber mach schnell, bevor ich’s mir anders überleg.«
Zachary war gerade mit dem Anziehen fertig, als mehrere Rufe zwischen Schiff
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