Das mohnrote Meer - Roman
ihrer Überraschung fühlte sie reines weiches Fleisch. Dann aber spürte sie ein leises
Sichregen, ein Schwellen, und plötzlich war es, als erwachte sie in einer Wirklichkeit, in der ihre Familie und das Dorf ihr über die Schulter schauten und sie mit der Hand auf dem allerunberührbarsten Teil dieses Mannes dort kauern sahen. Sie fuhr zurück, lief in das Feld und versteckte sich wieder zwischen den Mohnblumen. Dann wartete sie wie zuvor.
Nach langer Zeit – so schien es ihr zumindest – stand Kalua langsam auf und sah sich verwundert um. Er band sich seinen langot um die Lenden und wankte davon, mit solch verwirrter Miene, dass Diti sich sicher – oder fast sicher – war: Er hatte nicht das Mindeste von ihrer Anwesenheit bemerkt.
Zwei Jahre waren seitdem vergangen, doch die Ereignisse jener Nacht waren keineswegs verblasst; vielmehr waren sie ihr lebendig im Gedächtnis haften geblieben. Oft, wenn sie neben ihrem opiumbetäubten Mann lag, wanderten ihre Gedanken schuldbewusst zurück und ließen Einzelheiten der Szene wieder frisch und scharf hervortreten – gegen ihren Willen und trotz aller Anstrengungen, sie in andere Richtungen zu lenken. Noch größer wäre ihr Unbehagen gewesen, hätte sie annehmen müssen, dass Kalua Zugang zu denselben Bildern und Erinnerungen hatte, doch bisher deutete nichts darauf hin. Aber ein nagender Zweifel blieb, und sie achtete streng darauf, seinen Blick zu meiden, und ihr Gesicht zu verhüllen, sobald er in ihre Nähe kam.
So spähte Diti nun nicht ohne Besorgnis hinter dem schützenden Schleier ihres ausgebleichten Saris zu ihm hinüber. Die Falten des Stoffs gaben nichts davon preis, wie genau sie seine Reaktion beobachtete. Verrieten seine Augen oder seine Miene, dass er um ihre Rolle in jener Nacht wusste, dann würde sie keine andere Wahl haben, als auf dem Absatz kehrtzumachen und wieder zu gehen. Die Peinlichkeit würde einfach zu groß sein, denn da war nicht nur das, wozu die Männer
ihn hatten zwingen wollen – die Scham darüber konnte einen Mann vernichten, wenn er erfuhr, dass er dabei beobachtet worden war –, sondern auch die Schamlosigkeit ihrer eigenen Neugier, wenn es denn wirklich nur Neugier gewesen war.
Doch zu Ditis Erleichterung schien ihr Anblick keinen Funken in Kaluas trüben Augen zu entzünden. Ein ausgebleichtes ärmelloses Unterhemd umhüllte seine mächtige Brust, und um die Hüften trug er den üblichen schmutzigen langot , aus dessen Falten seine Ochsen Stroh-, Gras- und Heuhalme zupften, während er so vor seiner Hütte stand und sich auf seinen säulenartigen Beinen hin- und herwiegte.
»Was ist los?«, fragte er schließlich auf seine raue Art, und da wusste sie, dass alle Erinnerungen an jene Nacht, sollte es sie überhaupt je gegeben haben, aus seinem langsamen, simplen Geist entschwunden waren.
»Are , Kalua«, sagte sie, »meinem Mann geht’s nicht gut, er muss aus der Fabrik abgeholt werden.«
Kalua legte den Kopf schräg, bedachte ihre Worte und nickte dann: »In Ordnung, ich hol ihn.«
Mutiger geworden, zog Diti das Päckchen hervor, das sie mitgebracht hatte, und hielt es hoch. »Aber das ist alles, was ich dir als Bezahlung geben kann, Kalua, mehr hab ich nicht.«
»Was ist das?«
»Afīm , Kalua«, antwortete sie prompt. »Was hat man um diese Jahreszeit sonst schon im Haus?«
Er kam auf sie zugestapft, und sie legte das Päckchen auf den Boden, trat schnell zurück und drückte ihre Tochter an sich. Im hellen Tageslicht war jeglicher Kontakt zwischen ihr und Kalua undenkbar, und sei es nur die Übergabe eines Gegenstandes. Aber sie sah genau hin, als er das in Blätter gewickelte Päckchen aufhob und an seinem Inhalt roch. Einen Moment
lang fragte sie sich, ob er ein Opiumesser war, doch sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Was spielten seine Gewohnheiten schon für eine Rolle? Er war ein Fremder, nicht ihr Ehemann. Und doch war sie seltsam froh, als er den Opiumklumpen, statt ihn für den eigenen Gebrauch einzustecken, entzweibrach und an seine Ochsen verfütterte. Die Tiere kauten zufrieden, während er sie anschirrte, und als der Karren bei ihr angelangt war, stieg sie mit ihrer Tochter hinauf, setzte sich mit dem Gesicht gegen die Fahrtrichtung und ließ die Beine über den Rand baumeln. Und so fuhren sie nach Ghazipur, jeder an seinem Ende der Bambusladefläche, in so großem Abstand voneinander, dass auch die losesten Zungen nichts von Schande oder Skandal verlauten lassen konnten.
Am selben
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