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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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seinen Vater. Der Junge hat mit seinem Vater ungefähr so viel gemeinsam wie asiatische Zeder mit echtem Mahagoni.« Der Lotse grunzte abfällig. »Wissen Sie, wenn ich eins nicht leiden kann, dann einen gebildeten Eingeborenen. Sein Vater war ein Mann, der wusste, wo er hingehörte – den hätte man nie mit einem Buch in der Hand gesehen. Aber dieser kleine Chakara bildet sich weiß Gott was ein – ein aufgeblasener Schnösel ist das, wenn Sie mich fragen. Dabei sind die noch nicht mal echter Adel: Die Rascally nennen sich ›Rajas‹, dabei haben sie ihren Titel bloß ehrenhalber
bekommen. Bakschisch dafür, dass sie der Krone die Treue halten.«
    Mr. Doughty schnaubte verächtlich. »Ein Babu braucht bloß ein, zwei Hektar zu besitzen, schon führt er sich auf wie ein Maharadscha. Und so wie der da labert, könnte man meinen, er wär der Schah von Persien. Warten Sie’s ab, bis Sie den Scheißer Englisch plappern hören – wie ein Affe, der aus der Times vorliest.« Er lachte vergnügt in sich hinein und zwirbelte den Knauf seines Stocks. »Also noch was, wo Sie sich heute Abend drauf freuen können, abgesehen vom Chitchki – ein bisschen Affen ärgern.«
    Er legte eine Pause ein und zwinkerte Zachary zu. »Was man so hört, kriegt der Rascal demnächst gewaltig eins auf den Deckel. Tatsache ist nämlich, dass ihm der Khazana ausgeht.«
    Zachary konnte nicht länger so tun, als verstünde er alles. Er runzelte die Stirn und fragte: »Kha – Khazana? Da haben wir’s, Mr. Doughty: Schon wieder ein Wort, das ich nicht verstehe.«
    Mit dieser naiven, wenn auch gut gemeinten Bemerkung handelte sich Zachary eine Gardinenpredigt ein: Es sei allmählich an der Zeit, sagte der Lotse, dass er, Zachary, aufhöre, sich wie ein Gudda zu benehmen – »das ist ein Affe, wenn Sie’s wissen wollen«. Er sei hier in Indien, wo es sich ein Sahib nicht leisten könne, dass man ihn für einen Tölpel oder einen Grünschnabel halte. Wenn er nicht beizeiten dahinterkomme, wie hier der Hase laufe, werde er über kurz oder lang Schiffbruch erleiden. Das sei hier nicht Baltimore – das sei ein Dschungel mit giftigen Echsen im Gras und Languren auf den Bäumen. Wenn er, Zachary, sich nicht für dumm verkaufen lassen wolle, müsse er lernen, die Eingeborenen mit dem einen oder anderen Zaban-Wort in den Senkel zu stellen.

    Da diese Ermahnung im zwar bestimmten, doch nachsichtigen Tonfall eines Mentors vorgetragen wurde, brachte Zachary den Mut auf zu fragen, was denn unter »Zaban« zu verstehen sei. Der Lotse seufzte geduldig: »Der Zaban, mein Junge, ist der Argot des Orients. Er ist eigentlich leicht zu verstehen, wenn man seinen Kopf ein bisschen anstrengt. Einfach nur ein bisschen Niggersprache, vermischt mit ein paar Schweinereien. Aber passen Sie auf, dass Ihr Urdu und Hindi nicht allzu gut klingt: Schließlich soll niemand denken, dass Sie sich in einen Eingeborenen verwandelt haben. Andererseits dürfen Sie auch nicht zu gewählt sprechen, denn dann hält man sie für einen Chi-Chi.«
    Zachary schüttelte erneut hilflos den Kopf. »Chi-Chi? Was soll denn das nun wieder bedeuten, Mr. Doughty?«
    Mr. Doughty zog belehrend die Augenbrauen hoch. »Chi-Chi ? Lip-lap. Masti? Sinjo? Touch o’Tar … Ein Mischling, kapiert? So was geht überhaupt nicht, lieber Freund: Kein Sahib würde so einen an seinen Tisch bitten. In dem Punkt sind wir eigen hier draußen im Orient. Wir müssen unsere Bibis schützen, wissen Sie. Dass ein Mann ab und zu seine Feder in ein fremdes Tintenfass taucht – nichts dagegen. Aber wir können die Hyänen nicht in unseren Hühnerstall lassen. Ist einfach nicht drin: Dafür kann man schon mal ausgepeitscht werden!«
    Zachary meinte, die leise Andeutung einer Drohung herauszuhören, und fühlte sich plötzlich unbehaglich. Im Lauf der letzten beiden Tage war ihm Mr. Doughty sympathisch geworden, denn auf der Leeseite seiner hektischen Sprechweise und seines fleischigen Gesichts hatte er einen freundlichen, ja generösen Zug an ihm entdeckt. Jetzt aber klang es fast so, als wollte der Lotse ihn warnen, ihm auf eine verklausulierte Art einen Wink geben.
    Er klopfte mit der Faust auf die Reling und wandte sich ab.
»Entschuldigen Sie mich, Mr. Doughty, aber ich glaube, ich zieh mich jetzt besser mal um.«
    Der Lotse nickte. »Klar: Wir müssen uns in Schale werfen. Gut, dass ich daran gedacht habe, frische Unterwäsche einzupacken.«
    Zachary ließ im Deckshaus Bescheid sagen, und kurz danach kam Serang Ali

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