Das mohnrote Meer - Roman
vierzehn Tage lang in den Kalmen vor sich hin dümpelte. Da die Mannschaft auf halbe Ration gesetzt wurde und von Maden wimmelnden Schiffszwieback und verdorbenes Fleisch essen musste, brach an Bord die Ruhr aus: Noch bevor der Wind wieder auffrischte, waren drei Mann tot, und zwei der schwarzen Besatzungsmitglieder wurden in Ketten gelegt, weil sie das Essen verweigert hatten, das ihnen vorgesetzt wurde. Mit so wenig Leuten an Bord musste Zachary sein Zimmermannswerkzeug beiseitelegen und die Aufgaben eines Vortoppmanns übernehmen.
Dann geschah es, dass der Zweite Steuermann, ein Leuteschinder, den alle schwarzen Besatzungsmitglieder hassten, über Bord fiel und ertrank. Jeder wusste, dass es kein Unfall war, doch die Stimmung an Bord war inzwischen so explosiv, dass der Kapitän, ein scharfzüngiger Bostoner Ire, die Sache auf sich beruhen ließ. Zachary gab als Einziger an Bord ein Gebot ab, als die persönliche Habe des Toten versteigert wurde, und gelangte auf diese Weise in den Besitz eines Sextanten und einer vollen Kleiderkiste.
Da er weder aufs Achterdeck noch aufs Vorschiff gehörte, wurde Zachary schon bald zum Vermittler zwischen den beiden
Teilen des Schiffes und übernahm die Pflichten des Zweiten Steuermanns. Er war nicht mehr so unbeleckt wie zu Beginn der Überfahrt, aber auch bei Weitem nicht seinen neuen Aufgaben gewachsen. Seine halbherzigen Bemühungen trugen nicht zur Verbesserung der Moral bei, und als der Schoner in Kapstadt einlief, verkrümelte sich die Mannschaft über Nacht und erzählte überall herum, wie unerträglich die Verhältnisse an Bord und wie erbärmlich die Bezahlung gewesen sei. Der Ruf der Ibis wurde dadurch dermaßen beschädigt, dass kein einziger Amerikaner oder Europäer, nicht einmal der übelste Rauf- und Saufbold, sich überreden ließ, auf dem Schoner anzuheuern. Die einzigen Matrosen, die sich an Bord der Ibis wagten, waren Laskaren.
Es war Zacharys erste Begegnung mit dieser Sorte Matrosen. Er hatte die Laskaren immer für ein Volk oder einen Stamm gehalten, wie die Cherokee oder die Sioux; jetzt erfuhr er, dass sie aus weit auseinanderliegenden Weltgegenden stammten und außer dem Indischen Ozean nichts gemeinsam hatten; unter ihnen waren Chinesen und Ostafrikaner, Araber und Malaien, Bengalen und Goaner, Tamilen und Arakanesen. Sie bildeten Gruppen von zehn bis fünfzehn Mann, und jede von ihnen hatte einen Sprecher. Es war unmöglich, diese Trupps auseinanderzureißen – entweder man nahm alle, oder man bekam keinen –, und sie waren zwar billig, hatten aber ihre eigenen Vorstellungen davon, wie viel sie arbeiten würden, was darauf hinauslief, dass man drei bis vier Laskaren für eine Aufgabe brauchte, die ein einziger Vollmatrose gut und gern allein hätte erledigen können. Der Kapitän erklärte sie zur faulsten Bande von Niggern, die er je gesehen habe, aber Zachary fand sie vor allem lächerlich. Schon allein ihre Bekleidung: Ihre Füße waren so nackt wie am Tag ihrer Geburt, und viele besaßen offenbar als einzige Kleidung ein Stück Kambrik, das sie sich um
die Körpermitte schlangen. Einige stolzierten in kurzen Hosen mit einer Schnur um den Bauch herum, andere trugen Sarongs, die wie Unterröcke um ihre hageren Beine flatterten, sodass das Deck manchmal dem Salon eines Freudenhauses glich. Wie konnte ein Mann barfuß einen Mast hochklettern, nur mit einem Tuch umwickelt wie ein neugeborenes Kind? Flink und wendig waren sie, das schon, doch Zachary geriet immer von Neuem aus der Fassung, wenn er sie affengleich in den Wanten hängen sah. Und wenn ihre Sarongs im Wind wehten, wandte er vorsichtshalber den Blick ab, aus Angst vor dem, was er womöglich sehen würde, wenn er nach oben schaute.
Nach langem Überlegen entschied sich der Kapitän für einen Laskarentrupp, der von einem gewissen Serang Ali angeführt wurde. Dieser war eine höchst eindrucksvolle Gestalt, mit einem Gesicht, um das ihn ein Dschingis-Khan beneidet hätte: hager, lang und schmal, mit flinken schwarzen Augen über verwegen schräg geschnittenen Backenknochen. Zwei schüttere Schnurrbartsträhnen hingen ihm aufs Kinn herab und umrahmten einen Mund, der ständig in Bewegung und in den Winkeln leuchtend rot gefärbt war: Es war, als schmatzte er ständig, nachdem er wie ein blutdürstiger Tatar aus den geöffneten Adern einer Stute getrunken hatte. Auch die Auskunft, die Substanz in seinem Mund sei pflanzlicher Herkunft, war nicht dazu angetan, Zachary zu beruhigen: Einmal,
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