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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Dokument echt ist.«
    Der Major zeigte mit dem Finger auf eine Zeile, in der in schwungvoller Schrift der Name »Benjamin Burnham« stand. »Leugnen Sie, Sir«, fragte der Major, »dass Sie der Unterfertiger dieses Dokuments sind?«
    »Keineswegs, Major«, sagte Nil ruhig. »Aber die Sache ist rasch erklärt: Es besteht eine Vereinbarung zwischen Mr. Burnhams Firma und der Raskhali-Zamindari. Das ist allgemein bekannt.«
    Soviel Nil wusste, hatten die Raskhali-Schuldscheine von jeher Mr. Burnhams Namen getragen. Seine Gumashtas hatten ihm versichert, dies sei die altehrwürdige Gepflogenheit des alten Rajas gewesen, der sich vor langer Zeit mit seinem Partner darüber verständigt habe, dass es nicht nötig sei, jeden Schuldschein zur Unterzeichnung quer durch die Stadt zu schicken – es sei einfacher und schneller, alles Erforderliche in der Residenz der Halder zu erledigen. Da nun aber der alte Raja in der lateinischen Schrift nicht sonderlich geübt war,
hatte stets ein Untergebener diese Formalität übernommen. Nil jedoch, der in Fragen der Kalligrafie ein Perfektionist war, hatte die ungelenke Handschrift des Sekretärs hässlich gefunden und darauf bestanden, die Unterschrift eigenhändig zu leisten. Dies alles war Benjamin Burnham wohlbekannt.
    »Es tut mir leid«, sagte Nil, »dass Sie sich ohne jeden Grund herbemüht haben. Mr. Burnham wird dieses Missverständnis im Handumdrehen aufklären.«
    Der Major hüstelte verlegen. »Leider muss ich trotzdem meine Pflicht tun, Sir.«
    »Aber dazu besteht doch gewiss kein Anlass, wenn Mr. Burnham die Zusammenhänge klarlegt?«
    Nach kurzem Schweigen sagte der Polizeichef: »Es war Mr. Burnham, Sir, der dieses Vergehen bei uns angezeigt hat.«
    »Was?« Nil konnte es nicht fassen. »Aber von einer Fälschung kann keine Rede …«
    »Dies ist eine gefälschte Unterschrift, Sir. Und es steht sehr viel Geld auf dem Spiel.«
    »Den Namen eines Mannes zu schreiben ist doch gewiss nicht dasselbe wie das Fälschen seiner Unterschrift?«
    »Das hängt davon ab, in welcher Absicht es geschieht, Sir. Und darüber hat das Gericht zu entscheiden«, erwiderte der Polizeichef. »Seien Sie versichert, dass Sie ausreichend Gelegenheit haben werden, Ihre Sicht der Dinge darzulegen.«
    »Und in der Zwischenzeit?«
    »Müssen Sie mir gestatten, Sie nach Lalbazar zu begleiten.«
    »Ins Gefängnis?«, fragte Nil. »Wie einen gemeinen Verbrecher?«
    »Das nun nicht gerade«, sagte der Major. »Wir werden dafür sorgen, dass es Ihnen an keinem Komfort fehlt; in Anbetracht Ihrer Stellung in der einheimischen Gesellschaft werden wir
Ihnen sogar gestatten, sich Ihr Essen von zu Hause kommen zu lassen.«
    Nun endlich dämmerte es Nil, dass das Unvorstellbare geschehen würde: der Raja von Raskhali, von der Polizei abgeführt und ins Gefängnis gesperrt. Zwar war er sich sicher, dass man ihn freisprechen würde, aber der Ruf seiner Familie würde sich von diesem Schlag nie mehr erholen – nicht, nachdem zahllose Nachbarn mit angesehen hatten, wie man ihn festnahm und gewaltsam abtransportierte. All seine Verwandten, alle, die von ihm abhängig waren, sein Sohn, sogar Elokeshi, würden mit in diesen Sumpf der Schande gezogen werden.
    »Muss es denn unbedingt sofort sein?«, begehrte Nil auf. »Hier, vor allen meinen Leuten?«
    »Ja. Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nur einige Minuten zugestehen – für Kleider und persönliche Dinge.«
    »Nun gut.«
    Nil wandte sich zum Gehen, als der Major in scharfem Ton sagte: »Wie ich sehe, sind Ihre Männer im Zustand des Aufruhrs. Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass jeder Übergriff Ihnen angelastet werden und sich vor Gericht zu Ihrem Nachteil auswirken wird.«
    »Ich verstehe«, sagte Nil. »Aber keine Sorge.«
    Die Veranda vor dem Büro des Zamindars blickte auf den Hof hinab, und als er hinaustrat, um die Treppe hinabzusteigen, sah er, dass dieser Hof sich plötzlich weiß gefärbt hatte: Seine weiblichen Verwandten und Abhängigen waren in ihren Witwengewändern hinausgeströmt. Als sie jetzt seiner ansichtig wurden, stimmten sie einen leisen Klagegesang an, der rasch lauter und bewegter wurde. Einige warfen sich zu Boden, während andere sich an die Brust schlugen. Ins Haupthaus zurückzugehen kam nicht mehr infrage: Er hätte es nicht
über sich gebracht, sich einen Weg durch dieses Gewühl zu bahnen. Er verharrte nur so lange, bis er sich überzeugt hatte, dass seine Frau Malati nicht unter den Frauen war. Selbst im Augenblick

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