Das mohnrote Meer - Roman
nicht gern über ihre Vergangenheit sprachen; manche wussten nicht einmal, woher sie stammten, weil sie schon als Kinder an die Ghat-Serangs verkauft worden waren, die Seeschiffe mit Laskaren versorgten. Diesen Menschenhändlern war es gleichgültig, wer ihre Neuzugänge waren oder woher sie stammten; sie griffen sich nackte Straßenjungen ebenso wie bärtige Sadhus aus Ashrams.
Doch so zusammengewürfelt sie auch sein mochten: Die meisten Laskaren auf der Ibis wussten dennoch, dass sie vom einen oder anderen Teil des Subkontinents stammten. Der Serang war eine der wenigen Ausnahmen: Fragte man ihn, sagte er stets, er sei ein Muslim aus Arakan, ein Rohingya, aber manche behaupteten, er habe die ersten Jahre als Schiffsjunge in einer chinesischen Mannschaft gedient. Dass er fließend Chinesisch sprach, war schon bald allen bekannt und insofern ein Segen, als er sich abends oft ins Chinesenviertel in der Hafengegend von Kalkutta begab, sodass die Laskaren sich ohne Aufpasser vergnügen konnten.
Manchmal, wenn weder Serang Ali noch Zachary an Bord waren, verwandelte sich die Ibis in ein anderes Schiff. Jemand wurde zum Ausguck in den Mast geschickt, um die Rückkehr der beiden zu melden, jemand anderer musste den einen oder anderen Krug Arrak oder Doasta holen, und dann versammelte sich die ganze Mannschaft auf Deck oder im fanā , um zu singen, zu trinken und die Wasserpfeife herumgehen zu lassen. Wenn kein Haschisch da war, rauchten sie Segeltuchfasern, denn schließlich wurde das Canvas, wie schon der Name sagte, aus derselben Pflanze hergestellt und schmeckte wenigstens entfernt nach Cannabis.
Die beiden Tindals, Bablu-Tindal und Mamdu-Tindal, waren seit ihrer Lehrzeit als Schiffsjungen zusammen und so unzertrennlich
wie ein nistendes Kranichpärchen, obwohl sie aus ganz verschiedenen Gegenden stammten: Der eine war ein Hindu aus Coringa an der Nordseite des Gangesdeltas, der andere ein Shia-Muslim aus Lakhnau in den Nordwestprovinzen. Bablu-Tindal, dessen Gesicht seit einer Erkrankung in der Kindheit mit Pockennarben übersät war, hatte zwei flinke Hände und verstand sich vorzüglich darauf, auf den Unterseiten von Töpfen oder Gemeinschaftstellern Rhythmen zu trommeln; Mamdu-Tindal war groß und geschmeidig, und wenn ihm danach war, legte er lungī und baniyāin ab und staffierte sich mit Sari, cholī und dupattā aus; mit geschminkten Augen und Messingohrringen schlüpfte er in seine andere Identität, nämlich die einer mondänen Tänzerin namens Ghasiti-Begum. Diese Figur führte ein kompliziertes Leben mit schmerzlichen Liebeleien, geistsprühenden Gesprächen und vielen drückenden Sorgen. Doch bekannt war sie vor allem für ihren Tanz, und ihre Auftritte im fanā waren so faszinierend, dass kaum jemand den Drang verspürte, sich eine Tanzvorstellung an Land anzuschauen: Warum an Land für etwas zahlen, was man an Bord umsonst bekam?
Manchmal versammelten sich die Laskaren am Bug, um sich die Geschichten der alten Männer anzuhören. Da war ein Steward, Cornelius Pinto, ein weißhaariger Katholik aus Goa, der behauptete, schon zweimal um die Welt gesegelt zu sein, auf Schiffen jeglicher Art, mit Seeleuten jeglicher Art – darunter auch Finnen, die als Hexenmeister der See galten und angeblich mit einer Pfeife Wind entfachen konnten. Dann war da Cassem-meah, der als junger Mann als Kammerdiener eines Schiffseigners nach London gegangen war und sechs Monate in dem Seemannsheim für Laskaren in der Cheapside logiert hatte. Seine Erzählungen von den Tavernen weckten in jedem Zuhörer den Wunsch, auch einmal in diese Stadt
zu kommen. Sunker, ein verschrumpelter und doch jungenhaft wirkender Mann von unbestimmbarem Alter mit O-Beinen und dem traurigen Gesicht eines angeketteten Affen, behauptete, er sei als Spross einer Familie vornehmer Lords von einem rachsüchtigen Bediensteten entführt und an einen Ghat-Serang verkauft worden. Simba Cader aus Sansibar war auf einem Ohr taub: Er war der Älteste von allen und gab an, sein Trommelfell im Dienst auf einem englischen Kriegsschiff verloren zu haben; wenn er ein paar Schluck Doasta intus hatte, erzählte er von der furchtbaren Schlacht, in der ihm bei einem Kanonenschuss das Trommelfell geplatzt sei. Er sprach davon, als habe sich die Schlacht, in der Hunderte von Schiffen ihre Geschütze aufeinander abgefeuert hätten, tatsächlich zugetragen, doch die Laskaren schenkten diesem Seemannsgarn keinen Glauben: Keiner war so töricht, zu glauben, dass
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