Das mohnrote Meer - Roman
und durch ernüchternd und erinnerte in keiner Weise an die Edelsteine, die sich der Sage nach im Kopf der Kobra befinden. Hier war es stickig und heiß, und das einzige Licht kam von einem Öllämpchen, das an einem Haken hing; im Dämmerschein der blakenden Flamme schien es Jodu, als sei er in eine dicht mit Spinnweben verhängte, muffige Höhle geraten, denn wohin er auch schaute, überall sah er nichts als ein Gewirr von Hängematten, die in Zweierreihen zwischen den Balken ausgespannt waren. Der enge, niedrige Raum hatte die Form eines elliptischen Dreiecks, dessen beide Seiten konvex gekrümmt waren und am Bug aufeinandertrafen. Die Decke war so niedrig, dass ein erwachsener Mann nicht aufrecht stehen konnte, und dennoch waren die Hängematten
übereinander angeordnet, im vorgeschriebenen Mindestabstand von sechzehn Zoll, sodass jeder Mann eine Handbreit über seinem Gesicht eine feste Barriere hatte: entweder die Decke oder den Hintern eines anderen. Kurioserweise hießen diese hängenden Betten jhulīs , genau wie die Schaukeln, die man im Garten für Bräute oder Kinder aufhängte. Hörte man dieses Wort, stellte man sich vor, dass man durch das Schwanken des Schiffes sanft in den Schlaf gewiegt würde, sah man sie aber vor sich wie Netze in einem Teich, wusste man, dass man sich in den Ruhestunden eher wie ein gefangener, zappelnder, nach Luft schnappender Fisch fühlen würde.
Jodu konnte nicht widerstehen und kletterte in eine der jhulīs , sprang aber sofort wieder heraus, als ihm der Geruch in die Nase stieg, der nicht nur aus dem Gestank von Körpern bestand, sondern aus einem Gemisch der Gerüche von schmutziger Bettwäsche, Haaröl, Ruß und den in mehreren Monaten angetrockneten Resten tröpfelnder, rinnender, spritzender Flüssigkeiten und mehr oder minder feuchter Fürze. Wie der Zufall es wollte, wurde ihm als nächste Arbeit aufgetragen, die Hängematten zu schrubben und auszuwaschen. So gründlich verdreckt waren die jhulīs , dass es Jodu vorkam, als könnte alles Wasser des Ganges sie nicht vom Schweiß und den Sünden der Männer säubern, die darin gelegen hatten. Als er dann endlich fertig war, kniff ihn der Serang ins Ohr und befahl ihm, noch einmal von vorn anzufangen: »Nennst du das sauber, du stinkende Landratte? Da ist ja manche Schifferkimme sauberer.«
Mit der Nase im Dreck sehnte sich Jodu danach, in die Takelage aufentern zu dürfen, bei den Vortoppmännern zu sein, die auf der Saling miteinander plauderten – nicht umsonst nannten die Laskaren diesen luftigen Sitz kursī , »Thron«, denn
dort hinauf kletterten sie, um sich in der kühlen Brise auszuruhen. Raju machte von diesem Vorrecht nie Gebrauch, und trotzdem hätte Jodu, hätte er auch nur hinaufzuschauen gewagt, sofort den Zehennagel des Serangs zu spüren bekommen. Jahrelang hatte er sich alle wichtigen Teile eines Segelschiffes eingeprägt, hatte gelernt, zwischen Fock-, Groß- und Besanmast zu unterscheiden, hatte sich gemerkt, was alles zum stehenden und zum laufenden Gut gehörte und die Bezeichnungen sämtlicher Segelarten auswendig gelernt. Aber nichts davon konnte er gebrauchen, wenn er an den Speigatten hockte und Dutzende von Hängematten schrubbte.
Doch so unangenehm die Aufgabe auch war, sie hatte eine erfreuliche Konsequenz: Da er sämtliche Hängematten aus der Back geholt hatte, mussten jetzt alle auf dem Hauptdeck schlafen. Das war keine große Strapaze, denn der Monsun stand bevor, und es wurde von Tag zu Tag heißer, sodass es angenehmer war, unter freiem Himmel zu schlafen, und sei es auch auf harten Planken. Außerdem bewirkte die frische Luft, dass sich jedermanns Zunge löste, und die Laskaren schwatzten oft bis tief in die Nacht, während sie so unter dem Sternhimmel lagen.
Serang Ali beteiligte sich nie an diesen Gesprächen. Er logierte zusammen mit dem Steward, dem Segelmacher, den Rudergängern und einigen anderen nicht in der Back, sondern im Deckshaus. Doch sogar von dessen Bewohnern sonderte sich der Serang ab, was nur zum Teil daran lag, dass er von Natur aus ein unnachsichtiger Ordnungsfanatiker war und sehr auf Disziplin hielt (kein Nachteil in den Augen der Laskaren, von denen keiner gern unter Serangs diente, die allzu vertraulich waren oder ihre Günstlinge hatten). Der Serang stand auch wegen seiner Herkunft abseits, die sogar denen unbekannt war, die am längsten unter ihm dienten. Aber auch das
war nichts Ungewöhnliches, denn viele Laskaren waren Heimatlose und Vagabunden, die
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