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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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»Komm, Kalua, lass mich nicht allein an diesem unbekannten Ort, komm her.« Doch als er sich niederlegte, fürchtete auch sie sich. Sie merkte nun plötzlich, dass ihr weißer Sari triefend nass und dass sie völlig durchgefroren war. Sie begann zu zittern, ihre bebende Hand schob sich auf Kaluas, und sie spürte, dass auch er zitterte. Ganz langsam näherten sich ihre Körper einander, jeder suchte die Wärme des anderen, ihre durchweichten Kleider lösten sich, sein langot und ihr Sari. Dann war es, als befände sie sich wieder auf dem Wasser: Sie dachte an seine Berührung, daran, wie er sie an seine Brust gedrückt hatte. An der Seite ihres Gesichts, die an seinem lag, spürte sie sanft seine Bartstoppeln, an der anderen, die auf den Bambus gepresst war, hörte sie das Flüstern der Erde und des Flusses, und beide sagten ihr, dass sie lebte, lebte, und plötzlich war es, als erwachte ihr Körper
wie nie zuvor, als flösse er wie die Wellen des Flusses, als sei er offen und fruchtbar wie das schilfbestandene Ufer.
    Hinterher lag sie in seinen Armen, und er fragte mit seiner rauen, heiseren Stimme: »Was denkst du?«
    »Ich denke daran, wie du mich heute gerettet hast …«
    »Mich selbst habe ich heute gerettet«, flüsterte er. »Wenn du nämlich gestorben wärst, hätte ich nicht weiterleben können …«
    »Schsch! Sag nichts mehr.« Abergläubisch, wie sie war, schauderte sie bei der Erwähnung des Todes.
    »Aber wo sollen wir jetzt hin?«, fragte er. »Was sollen wir tun? Man wird uns überallhin verfolgen, in Städte und Dörfer.«
    Sie wusste es so wenig wie er, doch sie sagte: »Wir gehen weg, weit weg, irgendwohin, wo niemand etwas von uns weiß, außer, dass wir verheiratet sind.«
    »Verheiratet?«
    »Ja.«
    Sie wand sich aus seinen Armen, wickelte sich flüchtig in ihren Sari und ging ans Wasser. »Wo willst du hin?«, rief er ihr nach. »Das wirst du gleich sehen«, rief sie über die Schulter zurück. Und als sie wiederkam, in ihren Sari gehüllt wie in einen hauchzarten Schleier, brachte sie einen Arm voll Blumen mit, die am Ufer blühten. Sie riss sich ein paar lange Haare aus und band die Blumen damit zu zwei Girlanden. Eine gab sie ihm, die andere hob sie über seinen Kopf und ließ sie um seinen Hals gleiten. Nun wusste auch er, was er zu tun hatte, und nachdem dieser Austausch der Girlanden sie miteinander verbunden hatte, saßen sie eine Weile still da, voller Ehrfurcht vor dem, was sie getan hatten. Dann schmiegte Diti sich wieder in Kaluas Arme, in die umhüllende Wärme seines Körpers, so weit und schützend wie die dunkle Erde selbst.

ZWEITER TEIL
Fluss

ACHTES KAPITEL
    S obald die Ibis vor Anker lag, öffneten Zachary und Serang Ali die Kontobücher und zahlten der Mannschaft die angesammelte Heuer aus. Viele der Laskaren verschwanden augenblicks in die Gossen von Kidderpur, ihre Kupfer- und Silbermünzen gut in den Falten ihrer Kleidung versteckt. Einige würden die Ibis nie wiedersehen, andere waren schon nach ein paar Tagen wieder da, weil sie ausgeraubt oder betrogen worden waren, ihren Lohn in Bordellen und Kneipen verprasst oder einfach gemerkt hatten, dass das Leben an Land viel reizvoller schien, wenn man auf See war, als wenn man ständig auf dem glitschigen Pflaster einer Hafenstadt ausrutschte.
    Es würde noch einige Zeit vergehen, bis die Ibis ins Lustignac-Trockendock in Kidderpur konnte, wo sie instandgesetzt und aufpoliert werden sollte. Solange sie am Flussufer ankerte, war außer Zachary und Serang Ali nur eine Stammbesatzung an Bord. Doch die verkleinerte Mannschaft hatte die gleichen Aufgaben wie auf See: Sie war in zwei Wachen eingeteilt, jede unter Führung eines Tindals, und wie auf See war jede Wache jeweils vier Stunden hintereinander auf Deck, ausgenommen die beiden zweistündigen Hundewachen abends. Wegen des erhöhten Diebstahlrisikos musste das Schiff genauso scharf bewacht werden wie sonst, und auch die Arbeit an Bord war keineswegs leichter, denn es galt, Inventur zu machen und Inspektionen durchzuführen, und vor allem stand Großreinemachen auf dem Plan. Serang Ali hielt nicht mit seiner Ansicht
hinterm Berg, dass ein Seemann, der sein Schiff in ungepflegtem Zustand ins Trockendock schickt, schlimmer sei als der übelste Landratten-Abschaum, ja schlimmer als der dreckigste Zuhälter.
    Eine Domäne der Laskarensprache, in der niemand dem Serang das Wasser reichen konnte, war das Fluchen. Gerade wegen seiner Meisterschaft in dieser Disziplin hegte Jodu

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