Das mohnrote Meer - Roman
ganz allein in der Fremde. Endlich kam Nachricht von seinem Schiff, aber nicht der Kapitän stand vor ihrer Tür, sondern der Erste Steuermann. Das hektische Fieber habe ihren Mann aufs Lager geworfen, berichtete er, und man habe ihn zur Genesung in Penang zurücklassen müssen. Der Kapitän wollte Mrs. Chillingworth dorthin kommen lassen, und hatte den Mann abgeordnet, um alles für sie zu regeln. Ja, meine Liebe, das war’s dann. Pech für den armen alten Kapitän.«
»Wie meinen Sie das, Madame?«
»Dieser Steuermann – Texeira hieß er, wenn ich mich recht erinnere – war aus Macao, ein Portugiese, und ein Filou, wie er im Buche steht: Augen so blank wie Goldstücke, ein engelsgleiches Lächeln. Wusste es so einzurichten, dass er Mrs. Chillingworth nach Penang begleiten durfte. Die beiden bestiegen ein Schiff, und das war das Letzte, was man von ihnen gesehen hat. Jetzt sollen sie in Brasilien sein.«
»O Madame!«, rief Paulette. »Wie furchtbar für den Kapitän! Und er hat nicht wieder geheiratet?«
»Nein, Paggli, Liebes. Er hat sich nie mehr ganz davon erholt. Ob deshalb, weil er seinen Steuermann oder weil er seine Frau verloren hat, weiß man nicht, jedenfalls ging es von da an abwärts mit seiner Seefahrerei. Kam nicht mit seinen Offizieren aus, hat seinen Mannschaften eine Heidenangst eingejagt und sogar ein Schiff bei den Spratley-Inseln zum Kentern gebracht, was unter Seeleuten als riesengroße Dummheit gilt. Aber das ist alles Vergangenheit. Die Ibis wird sein letztes Kommando sein.«
»Die Ibis , Madame?« Paulette fuhr hoch. »Er wird Kapitän der Ibis? «
»Ja, sicher, hab ich dir das nicht gesagt, Paggli?« Hier unterbrach sich die Bibi erschrocken und ein wenig schuldbewusst. »Aber ich rede und rede hier, dabei muss ich mich doch um den Tamasha kümmern.« Sie nahm die Tafel und kratzte sich mit der Kreide nachdenklich am Mund. »Nun sag mir, liebe Paggli, was um alles in der Welt mache ich mit Mr. Kendalbushe? Er ist jetzt ein hoher Richter, verstehst du, da muss er mit größter Ehrerbietung behandelt werden.«
Die Augen der Bibi hoben sich langsam von der Tafel und hefteten sich abschätzend auf Paulette. »Der Richter fühlt sich so wohl in deiner Gesellschaft, Paggli!«, sagte sie. »Erst letzte Woche hat er gemeint, du hättest ein Shabash verdient für die Fortschritte bei deinen Bibelstudien.«
Paulette bekam es mit der Angst zu tun. Ein Abend neben Richter Kendalbushe war nicht eben eine angenehme Aussicht, denn er unterzog sie jedes Mal einer langen und missbilligenden Serie von Fragen über geistliche Themen. »Der Richter ist zu freundlich«, sagte Paulette. Sie erinnerte sich lebhaft an das Stirnrunzeln, mit dem er sie bedacht hatte, als sie einmal einen zweiten Schluck Wein nahm. »Gedenken Sie der Tage der Finsternis«, hatte er leise gesagt, »denn ihrer werden viele sein …« Und natürlich hatte sie weder Kapitel noch Vers zu nennen gewusst.
Jetzt war Geistesgegenwart gefragt, und Paulettes Verstand ließ sie nicht im Stich. »Aber Madame«, sagte sie, »werden die anderen Bara Mems nicht Anstoß nehmen, wenn jemand wie ich neben einem so bedeutenden Mann wie Richter Kendalbushe sitzt?«
»Auch wieder wahr, meine Liebe«, antwortete Mrs. Burnham nach kurzer Überlegung. »Mrs. Doughty würde wahrscheinlich einen hysterischen Anfall bekommen.«
»Sie wird auch anwesend sein?«
»Wird sich nicht vermeiden lassen, fürchte ich. Mr. Burnham will Doughty unbedingt dabeihaben. Aber was um Himmels willen mache ich mit ihr? Sie ist total plemplem.«
Plötzlich leuchteten Mrs. Burnhams Augen auf, und die Kreide flog wieder auf die Tafel. »So!«, rief sie triumphierend und trug Mrs. Doughtys Namen auf dem leeren Platz zu Kapitän Chillingworths Linker ein. »Das dürfte sie in Schach halten. Und was ihren Gatten angeht, den setzen wir mittschiffs, sodass ich ihn nicht hören muss. Den bekommst du, den geschwätzigen alten Irren …« Die Kreide senkte sich auf die freie Tischmitte und platzierte Mr. Doughty und Paulette nebeneinander.
Paulette hatte sich kaum damit abgefunden, mit dem Lotsen – von dessen Englisch sie nicht viel mehr verstand als das Hindustani darin – Konversation machen zu müssen, als die Kreide schon wieder besorgt über der Tafel schwebte.
»Ein Problem bleibt trotzdem noch, Paggli«, klagte die Bibi. »Wen um alles in der Welt soll ich an deine linke Seite setzen?«
Da hatte Paulette eine Eingebung. »Werden die Schiffsoffiziere auch
Weitere Kostenlose Bücher