Das mohnrote Meer - Roman
hinter sich gelassen und sei in ein anderes Land gelangt. Die Ausmaße des Raums mit dem scheinbar endlos sich dehnenden Fußboden und den hoch aufstrebenden Wänden schufen ein eigenes Klima, gemäßigt und staubfrei. An den massiven Deckenbalken schwang ein riesiger stoffumrandeter Fächer sanft hin und her, erzeugte aber einen so starken Luftzug, dass er dem Gumashta den leichten Baumwoll- kurtā an den Körper presste. Die breite Veranda, die an den Daftar angrenzte, hielt mit ihrer Schattenschwelle die Sonne fern, und die Bambusvorhänge waren jetzt, am Mittag, weit herabgelassen. Das Duftgras, das sie bedeckte, wurde zu Kühlungszwecken von einem Trupp Pankhavalas ständig feucht gehalten.
Mr. Burnham saß im gedämpften, von hoch oben einfallenden Licht eines Deckenfensters an einem mächtigen Schreibtisch. Seine Augen weiteten sich, als Babu Nob Kissin durch den Raum auf ihn zukam. »Du lieber Himmel, Baboon!« , rief er beim Anblick der geölten schulterlangen Haare und der Halskette. »Was in aller Welt ist denn mit Ihnen passiert? Sie sehen so …«
»Ja, Sir?«
»So seltsam weiblich aus.«
Der Gumashta lächelte matt. »Aber nein, Sir, ist nur
äußere Erscheinung, reine Illusion. Darunter alles ist beim Alten.«
»Illusion?«, sagte Mr. Burnham spöttisch. »Mann und Frau? Gott hat sie beide so erschaffen, wie sie sind, Baboon. Da ist nichts Illusorisches an ihnen, und auch nicht zwischen ihnen.«
»Genau, Sir.« Babu Nob Kissin nickte enthusiastisch. »Ich auch immer sage: In diesem Punkt keine Konzession ist möglich. Unangemessene Forderungen entschieden müssen abgelehnt werden.«
»Darf ich dann fragen, Baboon«, sagte Mr. Burnham stirnrunzelnd, »was Sie veranlasst hat, sich mit diesem Ding zu schmücken, diesem …« – er zeigte auf den Busen des Gumashtas, der irgendwie stärker als früher aus den Konturen seines Körpers hervorzutreten schien. »Darf ich fragen, warum Sie diesen Schmuck tragen? Ist das etwas aus Ihrem Tempel?«
Babu Nob Kissins Hand fuhr an sein Amulett und schob es in seinen kurtā zurück. »Ja, Sir, vom Tempel.« Und frei improvisierend fügte er schnell hinzu: »Ist für medizinische Zwecke hauptsächlich. Aus Kupfer; fördert Verdauung. Sie auch können probieren, Sir. Stuhl wird weich und reichlich. Auch schöne gelbe Farbe, wie Kurkuma.«
»Gott bewahre!«, rief Mr. Burnham mit einer angewiderten Geste. »Genug davon. Sagen Sie mir, Baboon, was ist das für eine dringende Angelegenheit, in der Sie mich sprechen wollten?«
»Gerade ich wollte einige Themen anschneiden, Sir.«
»Nun sagen Sie schon; ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Eins ist Lager für Kulis, Sir.«
»Lager?«, fragte Mr. Burnham. »Was für ein Lager? Ich weiß von keinem Lager für Kulis.«
»Ja, Sir, genau darüber wir müssen diskutieren. Mein Vorschlag:
Warum nicht Lager bauen? Hier, Sie sehen und werden überzeugt sein.« Babu Nob Kissin zog ein Blatt Papier aus einer Aktenmappe und legte es vor seinen Arbeitgeber hin.
Der Gumashta war sich sehr wohl bewusst, dass Mr. Burnham die Verschiffung von Auswanderern als unwesentliche und ein wenig lästige Sparte seines Transportunternehmens betrachtete, weil die Gewinnmargen, gemessen an den enormen Opiumprofiten, gering waren. Das laufende Jahr bildete wegen der Unterbrechung der Opiumausfuhr nach China zwar eine Ausnahme; trotzdem würde Babu Nob Kissin starke Argumente ins Feld führen müssen, wenn er den Bara Sahib dazu bringen wollte, einen nennenswerten Betrag in diesen Geschäftszweig zu investieren.
»Hier Sie sehen, Sir, ich zeige …« Anhand der Zahlen, die er aufgelistet hatte, konnte Babu Nob Kissin schnell und anschaulich demonstrieren, dass sich der Aufwand für den Erwerb des Geländes, den Bau der Hütten und dergleichen mehr schon nach kurzer Zeit rentieren würde. »Großer Vorteil, Sir, in ein, zwei Jahren Sie können verkaufen Lager an Stadt. Gewinn ansehnlich könnte sein.«
Das ließ Mr. Burnham aufhorchen. »Wie das?«
»Ganz einfach, Sir. Sie sagen Stadtrat, richtiges Durchgangslager für Auswanderer ist benötigt. Sonst Reinlichkeit leidet und Fortschritt verzögert. Dann wir können verkaufen, nein? Mr. Hobbes ist da, er wird Zahlung sichern.«
»Glänzende Idee.« Mr. Burnham lehnte sich zurück und strich sich den Bart. »Ich muss schon sagen, Baboon, manchmal haben Sie wirklich geniale Einfälle. Sie haben meine Erlaubnis, alles Nötige zu veranlassen. Auf! Verschwenden Sie keine Zeit.«
»Aber
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