Das Molekular-Café
Es klang, als wäre er gekränkt.
»Nur… die… Modulationsschaltung… ist…
durchgebrannt«, schnaufte er und verstummte.
Pjotr schlug die genannte Richtung ein. Er hielt sorgsam die Zweige
fest, damit sie seiner Begleiterin nicht ins Gesicht schnellten. Durch
die Dunkelheit drang ein orangefarbenes Leuchten, das rasch heller
wurde. Das Gebüsch war zu Ende, über die weite Ebene zog sich
das Rohr der Vakuumbahn hin, das dieses matte Licht ausstrahlte. In der
Nähe erkannten sie nun das halbrunde Dach der Station. Von den
Hauptgeleisen zweigten Nebenstränge ab, die aus immer
kürzeren Rohren bestanden. Die ganze Anlage erinnerte an den
Pfeifensatz einer waagerechten Riesenorgel.
Pjotr und das Mädchen stiegen die Stufen hinauf. Sie schwiegen
noch immer. Pjotr drückte auf den Anrufknopf, seine Gefährtin
lehnte sich an die Metalltür. Ihr Gesicht war unbewegt und
verschlossen. Einmal zitterten ihre Lippen, sie öffnete den Mund,
als wollte sie etwas sagen, seufzte aber nur. Schließlich
ertönte das Signal zum Einsteigen. Die Tür öffnete sich
und gab den Weg in den kleinen Waggon frei.
Pjotr streckte zum Abschied die Hand aus. Seine Gefährtin machte
anfangs eine Bewegung, als wollte sie sie nicht ergreifen. Dann tat sie
es doch und sagte hastig: »Pjotr, glaub mir… Ich
möchte… Verzeih mir…«
»Du mußt mir verzeihen«, unterbrach er sie ruhig.
»Ich bin manchmal unvernünftig, besonders nachts.«
»Willst du nicht mitfahren?«
»Nein. Ich gehe noch eine Weile spazieren. Gute Nacht.«
Die Tür schloß sich. Der Waggon glitt von einem Rohrsegment
in das andere, entfernte sich immer rascher. In der glasigen,
durchsichtigen Röhre wogte das Licht, aber bald beruhigte es sich
und strahlte wieder das gleichmäßige orangefarbene Leuchten
aus, das die nächste Umgebung schwach erhellte. Pjotr blickte auf
die geschlossene Tür, als wunderte er sich erst jetzt über
das plötzliche Verschwinden seiner Gefährtin, dann lief er
eilends die Stufen hinunter.
Bald darauf befand er sich wieder mitten in dem Buschwerk. Lange ging
er aufs Geratewohl weiter, nahm nur an Stirn, Wangen und Augen den
kühlen Nachtwind wahr, der ihn und die dunklen Schemen der
Büsche und Bäume umwehte. Er atmete tief und beschleunigte
den Schritt. Ihm war, als hörte er hinter sich das ferne, aber
mächtige Brausen von Wellen, als hätte er tagelang gegen das
sturmbewegte Meer gekämpft, als wäre er endlich auf Land
gestoßen und schleppte sich nun nackt und bloß, aufs
äußerste erschöpft, über den Sand des unbekannten
Ufers, ohne Trauer über das, was der Ozean verschlungen hatte,
aber auch ohne Freude über seine Rettung.
Er spürte eine wachsende Unempfindlichkeit, zugleich aber kehrte
sein Orientierungsvermögen zurück. Er blickte zu den dunklen
Wolken auf. Durch eines der wenigen Wolkenfenster blinkte ein Stern.
Der Mars, dachte er. Unbewußt schob er mit den Händen die
Zweige beiseite. Die feuchten Blätter glitten leicht, behutsam
über sein Gesicht. Diese zarte, verstohlene Berührung
vertiefte das Gefühl der Ruhe, des Entgleitens. Plötzlich
blieb er unwillkürlich stehen. Er erkannte das große
Gebüsch wieder, die Blätter mit der eigentümlich hellen
Unterseite, die Stelle, wo er mit ihr gesprochen hatte. Bei dem
Gedanken, daß er nun allein hier war, packte ihn ein nie zuvor
empfundenes Angstgefühl. Er wich einige Schritte zurück,
senkte den Kopf, strauchelte, lief blindlings weiter, stieß und
riß die Zweige beiseite. Unsichtbare Weidenruten peitschten sein
Gesicht, seinen Körper, das Blut hämmerte in seinen
Schläfen. Er stürmte in die Dunkelheit, bis er fühlte,
daß ihm nichts mehr Widerstand leistete. Das dichte Gebüsch
war zu Ende. In dem öden, leeren Raum, den nur Finsternis
füllte, hielt er ebenso plötzlich inne, wie er seinen irren
Lauf ins Unbekannte begonnen hatte.
Vor wem fliehe ich? Vor mir selbst? fragte er sich. Ich muß etwas tun, logisch denken, ruhig, sonst…
Er atmete tief und gleichmäßig. Die feuchte, kühle Luft
strömte in seine Lungen, weitete sie, erfrischte und
ernüchterte ihn. Uferlos, schwarz war die Nacht. Er sah nichts,
ja, er merkte nicht einmal den heftigen Wind, auch nicht die Stille,
wenn er nachließ. Er stieß mit dem Arm an eine harte,
senkrechte Fläche, lehnte sich dagegen und gab seiner
augenblicklichen Schwäche nach. Ihm war alles gleichgültig,
es kümmerte ihn nicht, was für ein Gegenstand es war, an den
er sich gelehnt hatte. Wirre Erinnerungen wirbelten
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