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Das Molekular-Café

Das Molekular-Café

Titel: Das Molekular-Café Kostenlos Bücher Online Lesen
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vergessen. Aber jedesmal, wenn ich die
blaue Erde vor mir sah, war es, als sähe ich dich. Ich dachte, die
Entfernung sei noch nicht groß genug – Dummheit! Denn du
bist überall, wohin ich auch gehe… Was rede ich da?
Verzeih, sei mir nicht böse… Du verstehst wohl, weshalb ich
das alles sage. Nein, nein, nicht etwa, um dich zu überzeugen oder
um etwas zu erklären. Nein, hier gibt es nichts zu erklären.
Man kann ja auch nicht erklären, weshalb man lebt. Ich sprach
über dies alles, weil die Bäume ihr Laub verlieren und wieder
grünen, weil ein Stein, den man losläßt, zu Boden
fällt, weil das Licht sich beugt, wenn es in die Nähe
mächtiger Sterne kommt, weil Gletscher Felsen tragen und steinerne
Flußbetten Wasser… Das, was ich fühle, ist für
dich wertlos. Ich weiß es. Aber einmal wirst auch du viele Dinge
hinter dir haben und nur wenige noch vor dir. Dann wirst du vielleicht
unter all deinen Erinnerungen eine Stütze, einen Halt suchen,
einen Punkt vielleicht nur, von dem aus die Lebensrechnung beginnt oder
bei dem sie endet. Du wirst eine ganz andere sein, alles wird anders
sein, und ich weiß nicht, ob ich oder wo ich dann sein werde.
Aber das ist nicht wichtig. Denke daran, daß du meine Astronautik
wie meine Träume, meine Stimme, meine Sorgen und alle mir selbst
noch unbekannten Ideen und Gedanken, meine Ungeduld und meine
Zaghaftigkeit – daß du die Welt ein zweites Mal haben und
besitzen konntest. Wenn du einmal so denkst, dann wird es nicht mehr
wesentlich sein, ob du dies alles nicht haben wolltest oder ob du nicht
verstandest. Wichtig wird nur eines sein: daß du meine
Schwäche und meine Stärke, Verlust und Wiedergewinn, Licht
und Dunkel, Freude und Schmerz – daß du das Leben
warst.«
Pjotr berührte mit den willenlos geöffneten Fingern ihrer
Hand seine Schläfe und Stirn. »Fühlst du die harte
Kontur? Das ist ein Knochen. Einmal wird er von Haut und Fleisch
entblößt sein. Aber auch das bedeutet nichts. Alles ist
ewiger Wechsel im Strom der Gestaltung, die fließende Form von
Atomen und ihren Strukturen, die Verbindung von Atomen. Sie vereinigen
sich von Zeit zu Zeit, um den Körper eines Menschen zu bilden, und
sie trennen sieh wieder – aber dieser Augenblick im Weltgeschehen
besteht, er bleibt. Er wird im Staub, in den sich mein Andenken
verwandelt, für immer festgehalten, er wird weiterbestehen,
stärker als die Zeit, als die Sterne, stärker als der
Tod.«
Pjotr hatte die letzten Worte kaum vernehmbar geflüstert. Nun
verstummte er. Behutsam ließ er ihre Hand frei, vorsichtig, als
gäbe er ihr etwas Zartes, Zerbrechliches zurück.
Er ging voraus. Der Fußweg führte anfangs geradeaus weiter,
dann machte er einige Biegungen und teilte sich. Pjotr wandte sich nach
links. Wolken zogen auf und bedeckten einen immer größeren
Teil des Himmels. Der Wind wurde stärker. Die beiden schwiegen.
Auf einmal vernahmen sie hinter der grünen Wand der Hecke ein
langsames Klappern, das schwächer wurde und in ein monotones
Geräusch überging, das wie das Klirren unsichtbarer Scheren
klang.
»Ist dort jemand?« rief Pjotr laut.
»Ich bin es – Sigma sechs«, antwortete ein metallen klingender Bariton.
Pjotr lenkte seine Schritte in die Richtung, aus der die Stimme kam,
stieß aber auf eine dichte Wand stachliger Zweige und blieb
stehen.
»Wie kann man zu dir gelangen, Sigma sechs? Gibt es hier einen Weg?«
»Wenn du nicht durch die Hecke kommen kannst, dann bist du ein
Mensch. Geh zehn Meter geradeaus weiter. Dort ist ein Durchgang«,
antwortete der Automat.
»Sigma sechs, gib das Signal.«
Im Gebüsch leuchtete eine rot und grün gestreifte Kugel auf.
Die beiden zwängten sich durch den engen Durchlaß. Der
Automat stand auf drei Kufen unter tief herabhängenden Zweigen.
Eine seiner Antennen war durch das Licht der Signallampe beleuchtet,
seine Metallhülle war in dem dunklen Gewirr der Zweige verborgen.
»Sigma sechs, wo ist die nächste Station des
Vakuumexpreß?« fragte Pjotr. Er trat an den Automaten heran
und legte die Hand auf die kühle Hülle.
»Die nächste Haltestelle ist in nordöstlicher Richtung,
vierhundert Meter von hier entfernt«, erwiderte der Automat.
Seine Stimme wurde schwächer, die einzelnen Worte fielen in immer
längeren Abständen.
»Das scheint ein verwirrter Sigma zu sein«, wandte sich
Pjotr an seine Gefährtin. »Anscheinend ist er entladen. Hast
du gemerkt, wie komisch er stottert?«
»Ich… bin nicht… entladen«, antwortete der
Automat klirrend.

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