Das Molekular-Café
Wasser aus den Ozeanen mehr über den
Bereich der Erde hinausgeschleudert wird?«
»Du meinst den Plan zur
Vergrößerung der Kontinente?« »Ja. Bisher wurde
das Wasser nutzlos in den Weltraum geschleudert. Vor kurzem hat das
Aerologische Institut vorgeschlagen, mit diesem Wasser die trockenen
Planeten zu versorgen… Gib acht! Ich glaube, hier stehen
Wacholdersträucher, ich habe mich gestochen. Ach, hier ist ja ein
Fußweg. Mal sehen, wo er hinführt… Ja, der Professor
hat uns alle in diese neue, interessante Arbeit eingespannt.«
Der Fußweg, den sie eingeschlagen hatten, schlängelte sich
an hohen Hecken entlang. An einer Biegung hatten sie einen freien
Ausblick auf den dunklen Himmel. Eine leuchtende Wolke schwebte langsam
dahin, verweilte kurze Zeit und glitt ebenso langsam zurück.
»Sieh mal!« Das Mädchen machte Pjotr auf die
eigenartige Erscheinung aufmerksam. »Dort oben experimentiert
Posden… Schade, daß du nicht länger
hierbleibst… Ich könnte dir all das Neue zeigen. Wir haben
in der letzten Zeit viel erreicht.«
»Nein, das geht nicht. Ich hätte überhaupt nicht herkommen sollen«, entfuhr es ihm.
Sie blieb stehen. Die kleinen Blätter der Hecke hatten eine helle,
fast weißleuchtende Unterseite. Wenn der leichte Nachtwind sie
bewegte, dann schienen zahllose Augen in die Dunkelheit zu starren.
Pjotr sah seine Begleiterin nicht. Unter den sanften
Windstößen hoben und senkten sich die Blätter, und nur
vor diesem unruhigen Flackern gespenstischer Flämmchen zeichnete
sich ihre Gestalt undeutlich ab.
»Weshalb, Pjotr?« fragte sie leise.
»Wir wollen nicht darüber reden«, bat er. Auf einmal
fühlte er sich sehr müde. Nicht sprechen, nicht denken wollte
er, nur weiter mit ihr durch das Dunkel gehen, immer weiter.
»Pjotr, ich dachte, daß… Ich wollte doch
nicht… Verstehst du? Ich glaubte, daß nach zwei
Jahren…« Sie verstummte.
»Daß ich alles vergessen habe?« Er lächelte. Sie
empfand den tiefen, lindernden Frieden dieser Nacht nicht mehr.
»Sprich nicht so«, fügte er in einem Ton hinzu, als
hätte er ein Kind vor sich. »Du verstehst das nicht. Ich
selbst verstehe es nicht, aber… Gib mir deine Hand.«
Sie erfüllte seinen Wunsch. Nun standen sie in der Finsternis
nebeneinander, ihre Körper schienen mit ihr verschmolzen. Leise,
mit einer Stimme, die sich kaum von dem unaufhörlichen
Flüstern der Blätter unterschied und die das Mädchen
niemals bei Pjotr gehört hatte, sagte er: »Alles, was mir
widerfährt, existiert zunächst nicht, dann kommt es, geht
vorüber, entschwindet. Aber du… du bleibst. Ich weiß
nicht, weshalb es so ist, und ich frage nicht danach. Die Form deiner
Finger, deiner Lippen, deines Kopfes ist etwas Gegebenes – wie
die Form meiner Finger und Lippen. Ich habe sie nicht gewählt,
auch du hast sie nicht gewählt. Sie ist so, und ich wundere mich
nicht darüber, wenn ich mich auch manchmal dagegen auflehnen
möchte. Wer lehnt sich aber wirklich gegen den eigenen Körper
auf? Dein Körper ist mir nicht wertvoll, und mein eigener ist es
ebensowenig. Er ist nur unentbehrlich, unbedingt notwendig, denn ohne
ihn könnte ich nicht existieren. Ich berühre deine Hand. Was
bedeutet das schon. Es sind Knochen, Sehnen, Haut, ja, das stimmt, es
ist aber unwichtig. Wie soll ich dir das erklären? Es gibt keine
Unsterblichkeit. Wir alle wissen das. Aber in diesem Augenblick, jetzt,
an dieser Stelle, ist sie da, die Unsterblichkeit. Denn ich
berühre deine Hand, als wären mir nun alle vergessenen,
verlorengegangenen Sehnsüchte der Menschheit vertraut, als kennte
ich alle Welten, ihren Anbeginn, ihre Geschichte und ihr Ende…
Und was ist Unsterblichkeit anderes als das? Du schweigst. Das ist gut.
Sage nicht: vergiß. Du bist doch ein verständiges, kluges
Mädchen. Wenn ich vergäße, dann wäre ich nicht
mehr ich; denn du bist in mir, in all meinem Tun und Denken, du bist
eins geworden mit meinen frühesten Erinnerungen, du bist tief in
mich eingedrungen, dorthin, wo es kein Denken gibt, wo nicht einmal
Träume entstehen, wo nur blinde Umwandlungen des Stoffes vor sich
gehen, aus denen Träume und Gedanken erst werden. Risse dich
jemand aus mir heraus, dann bliebe nur Leere zurück, nichts, als
wäre ich nie gewesen. Ich müßte auf mich selbst
verzichten und darauf, die Verantwortung für mein eigenes Geschick
zu tragen. Doch dazu habe ich kein Recht. Weißt du, weshalb ich
die Arbeit in dem Observatorium am Tycho-Brahe-Paß
übernommen habe? Ich wollte
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