Das Molekular-Café
Wägelchen, Sie wissen schon, wie im
Krankenhaus: vier hohe Beine und Räder dran. Ausgepolstert mit
Porengummi, darüber Plastikfolie, Gaze, Folie, Sterilität et
cetera.« Er lächelte. »Verstehen Sie was davon?
Nichts, natürlich nicht, wie sollten Sie auch!«
Ich beugte mich im Sessel vor und betrachtete angelegentlich meine
Bügelfalten. Jetzt öffneten sich die Wagenfenster, und ein
heller Lichtschein drang zu uns herein, der gelbe Lichtschein der
Tunnellampen.
»Man hat also Versuche an Ihnen gemacht?«
»O ja, Versuche.« Sein Lächeln wurde zur Grimasse.
»Und was für welche! Haben Sie Ahnung von Chemie? Nun,
wenigstens ein bißchen?«
Ich nickte.
»Sehen Sie, hier die Reaktion, da das Reagenzglas. Produkt der
Reaktion – ein lebender Mensch. Das nennt sich Synthese, nicht
wahr?«
»Ist das Reagenzglas groß?« witzelte ich.
Er warf mir einen finsteren Blick zu.
»Nein, klein. Es ist überhaupt nicht zu sehen unter den
Hebeln der Apparatur. Schwarze Ständer und mittendrin ein winziges
Reagenzglas. Sterilisierte Handschuhe. Ein Brutkasten. Ein Jahr liegt
da was im Brutkasten. Es muß lagern – wie Wein. Nein, ich
scherze nur. Denken Sie bloß nicht, daß Wein…
Obwohl, eigentlich auch. Zum Fermentieren? Nein, das nicht. Wie
Weintrauben – zum Reifen. Ja, das ist es! Danach… Ach so!
Vorher beobachten sie es noch täglich durchs Mikroskop. Alles ist
unter Glas, einem großen Vergrößerungsglas,
darüber ein Spiegel und ein Okular. Also, danach kommen sie mit
einem vorgewärmten Wägelchen an, unten Heizkissen, sie
öffnen die Klappe, und über eine sterilisierte Rutsche
gleitet ein sterilisierter Säugling in ein sterilisiertes
Wägelchen.«
Ich lächelte.
»Und dann… Wissen Sie, wie es weitergeht?« Er wurde
zusehends lebhafter. »Dann bringen sie das Kindchen in ein Bassin
mit Nährlösung unter eine Sauerstoffglocke und punktieren es.
Aus Labormixturen machen sie künstliche Milch. Das Kind
wächst rasend schnell. Unter solchen Lebensbedingungen sieht es
nach einem Jahr schon aus wie sechs. Aber es ist nicht intelligenter
als, sagen wir, eine sechsjährige Schnecke. Nicht mal laufen kann
es. Deshalb… Wissen Sie, was sie dann machen?«
Er brach ab. Die Fenster schlossen sich leise. Die Maschine bremste,
die Pneumatik zischte. Wir hielten. Der Lautsprecher schaltete sich ein.
»Station Birmingham. Die Zeit: null Uhr vierzehn.«
»Birmingham?« Mein Reisegefährte überlegte. »Ist es noch weit bis zur Endstation?«
»Bis Dublin? Noch eine Stunde. Fliegen Sie weitet?« fragte ich.
»Nach Amerika?«
»Ja, ja. Nach Vandenberg.«
»Nach Vandenberg… Und von Vandenberg…«
»Eben. Sie wissen, wohin der Weg von Vandenberg führt. Zum
Mars, zum Jupiter, Tau Walfisch. Wissen Sie, daß ich noch nie auf
dem Mond gewesen bin? Können Sie sich das vorstellen? Sicherlich,
weil Sie auch noch nicht dort waren. Aber die können das
nicht.« Er lächelte. »Als ich mich zum Flugdienst
meldete, brummten sie mir erst einen Kontrollflug auf: über Moons
melden und zurückkommen. Ich hatte ein halbes Jahr Schulung an den
Simulatoren hinter mir. Mit der ›Thor‹ sollte ich
fliegen. Ich startete auf Feuerstrahl und erhöhte dann den
Antrieb. Nur eins hatte ich vergessen: mich anzuschnallen. Bevor ich
auf Umlaufbahn ging, bremste ich. Ich staunte – im Simulator
hatte mich immer etwas am Bücken gehindert. Mir fiel nicht ein,
daß es die Sicherheitsgurte gewesen waren. Ich flog mit dem
Gesicht gegen das Armaturenbrett. In Vandenberg sagten sie, das
wäre kein Wunder. Ich wollte ihnen klarmachen,
daß…« Er brach plötzlich ab.
Die Maschine fuhr an.
»Made in Oxford. Klingt hübsch. Ich bin in Oxford
hergestellt. Sogar mein Name – ich heiße Foxor – ist
ein Anagramm von Oxford. Universität, College… Wovon sprach
ich gerade? Aha, also das Kind kann noch nicht laufen… Sie haben
so eine Maschine dafür. Die Assistenten stopfen das
Versuchsexemplar hinein, befestigen Hebel an seinen Beinen, dann
schalten sie die Motoren ein. Eins – zwei, eins –
zwei… Leibesübungen. Um die Muskeln zu
kräftigen.«
»Kein schlechter Einfall«, sagte ich.
»Ja«, entgegnete er apathisch. »Aber das ist noch
nicht alles. Sie haben extra Kabinen, Bildschirme, Ikonoskope,
Elektroden. Levi-Costar-Methode. Elektroschocks. Ist Ihnen schon einmal
aufgefallen, daß wir uns meist an den Augenblick, der einem
Unfall vorausgeht, genau erinnern können? Das ist die
Levi-Costar-Methode. Sie werfen ein Bild an die Wand, lassen
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