Das Monster von Bozen
zu verstehen, seine Handlungsweisen nachzuvollziehen. Erst dann wollen wir ihn dem Haftrichter vorführen. Jedes Detail kann von Bedeutung sein. Bitte denken Sie nach!«
Es ging eine Weile hin und her. Die Gesprächsatmosphäre erinnerte in nichts an ein Verhör, sondern eher an einen gemütlichen Kaffeeklatsch, was auch dem Umstand geschuldet war, dass freundliche Beamte dieses Getränk unermüdlich offerierten.
Plötzlich ertönten auf dem Flur Stimmen. Sie hörten, wie jemand Vincenzos Namen nannte. Er stand mit einem »Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick« auf und ging zur Tür. »Was soll das, Kollegen? Wir brauchen hier Ruhe.«
» Scusi , Commissario, ein Zeuge hat sich gemeldet, sehen Sie dort, der Mann mit dem weißen Hemd. Er will zu Ihnen.«
»Wie, jetzt? Mitten im Verhör?«
»Er sagte, er will nur mit Ihnen sprechen. Es geht um Carlos Mancini.«
»Nicht so laut!«, rief Vincenzo sichtlich verärgert und wies mit einer Kopfbewegung in das Verhörzimmer. Er bedeutete dem Zeugen, zu ihm zu kommen, und lehnte die Tür des Verhörzimmers an. Im Zimmer herrschte aufmerksames Schweigen. Jeder war neugierig, was sich da draußen abspielte, aber sie konnten bloß Gesprächsfetzen aufschnappen: »Signor Mancini«, »sì, la Signora«, »abends, spätabends«, »häufiger dort«, »kannte nicht näher«, »sì, absolut sicher«. Durch die Scheiben sahen sie, dass jemand dem Zeugen, den niemand kannte, ein Foto zeigte. Daraufhin nickte der Mann aufgeregt und rief mehrfach: »Sì, la questa signora, la questa signora!« Während Vincenzo die Tür zum Verhörzimmer schon wieder aufschob, gab er dem Zeugen die Hand und verabschiedete sich. » Mille grazie , Signor, das ist ein wichtiger Hinweis. Sie haben uns sehr geholfen.«
Er betrat den Raum und setzte sich, als wäre nichts geschehen. Ispettore Marzoli sah ihn fragend an, und auch die Zeugen machten keinen Hehl aus ihrer Neugier. »Oh, nichts Besonderes. Wie es aussieht, eine weitere Bestätigung. Also, wo waren wir stehen geblieben?«
Der Kaffeeklatsch setzte sich noch eine halbe Stunde fort, ein Protokollant schrieb eifrig mit, dann verabschiedete Vincenzo die Zeugen. »Nochmals herzlichen Dank für Ihr Kommen. Ich gehe davon aus, dass wir den Fall noch in dieser Woche abschließen werden, wobei wir dem letzten Hinweis noch nachgehen müssen. Aber das wird nichts ändern, da bin ich mir sicher. Damit werden Sie zukünftig Ruhe vor uns haben. Ich bringe Sie zurück.«
Auf der Rückfahrt wurde kein Wort gesprochen. Das Gewitter hatte Bozen erreicht, und der Himmel öffnete seine Schleusen. Dicke Regentropfen klatschten ununterbrochen auf die Scheibe, die Wischer arbeiteten auf Hochtouren. Jeder hing seinen Gedanken nach. Während Mantinger und Schimmel genervt wirkten, war Junghans bester Laune.
Es hatte also tatsächlich funktioniert. Gemini war weg, der letzte Zweifel ausgeräumt. Nichts und niemand konnte ihn jetzt noch aufhalten, er war auf dem Weg an die Spitze der größten Unternehmensberatung Südtirols. Ach was, Südtirols, lächerlich, ganz Norditaliens, mindestens. Denn dahin würde er sie führen, die SSP, er, Franz Junghans, Unternehmer des Jahres. Er hätte laut loslachen können, verkniff sich aber jede äußerlich erkennbare Regung.
Seine Gedanken wanderten wieder zu Sabrina Parlotti, die seine erotischen Phantasien zunehmend beflügelte. Aber er war es nicht gewohnt, eine Frau anzusehen und sich nur an seinen Vorstellungen zu erfreuen. Für ihn war es normal, sich seine Wünsche augenblicklich zu erfüllen. Und jetzt war Sabrina an der Reihe. Wenn sie zurück waren, würde er sie als Erstes zum Abendessen einladen, ein paar Drinks, dann ab zu ihm in seine Wohnung, die genug Möglichkeiten bot für Männer wie ihn und Frauen wie Sabrina. Wenn sie ein paar heiße Nächte zusammen verbracht hätten, würde er das Interesse verlieren und sie fallen lassen. So wie immer. Dann könnte er sich uneingeschränkt seinem Aufstieg widmen. Ja, so würde er es machen!
Als sie ankamen, begleitete sie der Commissario ins Haus. Er ging neben Junghans auf Sabrina Parlottis Büro zu. Kurz davor fasste er den Berater am Ärmel und hielt ihn freundlich, aber bestimmt zurück. » Scusi , Signore, auch ich will zu Signora Parlotti. Sie werden sich hinten anstellen müssen.« Mit einem breiten Grinsen betrat er Parlottis Büro und schloss die Tür hinter sich.
Draußen auf dem Flur wurden drei Ohrenpaare gespitzt. Was wollte der noch von Signora
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