Das Monster von Bozen
Sollen wir Ihnen einen Polizeipsychologen schicken, der Sie auf Ihren Auftritt vorbereitet?«
»Vielen Dank, Commissario, das ist nicht nötig. Klaus Mantinger ist kein Fremder für mich, wir kennen uns schon eine halbe Ewigkeit. Er wird nicht sofort metzelnd über mich herfallen.«
»Okay. Nehmen Sie sich Zeit für den Rückweg, schließlich sollen Ihre Kollegen glauben, dass Sie hier waren, um eine Aussage zu machen.«
Marzoli begleitete sie zum Ausgang, Vincenzo blieb nachdenklich in seinem Büro zurück. Insgeheim hoffte er, dass er mit Mantinger doch falschlag. Wie viel besser wäre es, wenn doch Salvatore Gemini der Mörder war. Er konnte niemandem mehr etwas antun, weil er sicher in einer Zelle saß. Im Gegensatz zu Signora Parlotti war er sich nämlich keineswegs sicher, dass Mantinger nicht genau das tun würde: sie sofort angreifen und mit wenigen Schlägen oder Stichen zum Schweigen bringen. Denn im Unterschied zu seinen bisherigen Opfern ging es diesmal nicht nur darum, ein Hindernis aus dem Weg zu räumen, er hatte ganz persönliche Motive. Wie konnte es jemand wagen, sich ihm, dem alles überragenden Genie, in dieser dreisten, respektlosen Weise zu nähern? Hoffentlich hatte Vincenzo nicht den größten Fehler seines Lebens gemacht.
***
Sabrina Parlotti bummelte durch die Laubengasse, eine Einkaufsstraße, die ausschließlich Fußgängern vorbehalten war. Sie blieb an zahlreichen Schaufenstern der vielen kleinen, exklusiven Läden stehen. Vor der Auslage eines Geschäftes, das Unterwäsche und Dessous im Angebot hatte, entschied sie sich spontan, ein hauchzartes Dessous von Passionata zu kaufen. Den würde sie morgen anziehen. Sie malte sich aus, wie der Anblick Klaus anmachen würde, wenn sie erst einmal das leidige Thema beendet hatten und sich, ein wenig champagnerbeschwingt, endlich näherkamen. Sie spürte eine Erregung in sich aufsteigen, die sie in dieser Form lange nicht mehr gefühlt hatte. Was hatte dieser Mann bloß an sich, dass er eine Frau derartig faszinieren konnte? Und das, obwohl sie ihn schon jahrelang kannte?
Sie verstaute den Slip in ihrer Umhängetasche. Dann ging sie zurück zur SSP. Dort beschloss sie spontan, zuerst das zu erledigen, was ohnehin erledigt werden musste. Sie ging zielstrebig in Junghans’ Büro. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
»Schön, dass du mich besuchst, Sabrina, setz dich. Weißt du, wann du Zeit für mich hast?«
»Ich bin morgen Abend mit ein paar Freunden verabredet.«
»Sollen wir dann am Samstag essen gehen?«
»Warum so lange warten, Franz? Hast du heute Abend schon was vor?«
Die ging aber schnell zur Sache! Wenn es so einfach war, wurde es fast schon langweilig. Er schien seine Wirkung auf Sabrina sogar noch unterschätzt zu haben. Was würde das für eine Nacht werden! »Nein, Sabrina, und selbst wenn, für dich würde ich alles absagen. Soll ich dich gegen acht abholen? Ich habe ein tolle Idee, wie ich dich verwöhnen kann.«
Sie bemühte sich um ein möglichst verbindliches Lächeln. »Worauf darf ich mich denn freuen, außer auf dich?«
»Ich dachte ans Laurin. Nichts anderes wird einer Klassefrau wie dir gerecht. Eine konkurrenzlose Spitzenküche, du wirst begeistert sein.« Er hob den Blick in Richtung Zimmerdecke und tat so, als würde er angestrengt nachdenken. »Wie wäre es mit Jakobsmuscheln mit Artischocken und schwarzem Trüffel als Vorspeise, dann Spinatcremesuppe mit Rindercarpaccio und weißem Trüffel, als Hauptgericht Hirschkalbrücken mit Blaukraut und zu guter Letzt eine feine Käseauswahl? Dazu ein Brunello oder, ganz verwegen, ein Morellino di Scansano?«
Sie sah ihn mit einem Blick an, der Bewunderung zum Ausdruck bringen sollte, Bewunderung für einen wahren Mann von Welt. »Mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Hast du die Speisekarte etwa auswendig gelernt?«
Junghans lächelte souverän. »Wo denkst du hin. Ich pflege regelmäßig auswärts zu speisen, und ausschließlich gehoben. Irgendwann kennt man die einschlägigen Speisekarten. Acht Uhr?«
»Einverstanden, ich freue mich. Wie weltgewandt du bist, beeindruckend.«
Mit einem Gefühl von Ekel verließ sie das Büro. Jedes einzelne Wort, das Franz von sich gab, bestätigte ihren Eindruck. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, womit sie ihn bei seinem tollen Essen konfrontieren würde. Bestimmt würde seine Stimmung dann von einem Moment zum anderen umkippen und sein wahres Gesicht zutagetreten, eine hässliche, abstoßende Fratze.
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