Das Monster von Bozen
Sie musste darauf achten, dass sie stets unter Leuten waren, sie durfte nicht mit ihm alleine sein. Vor Zeugen würde er sie wohl kaum angreifen, das widerspräche seiner bisherigen durchdachten Vorgehensweise.
***
Er klingelte exakt um zwanzig Uhr. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige. Und er stand kurz vor der Inthronisation als Vize der SSP. Aus Sicht von Sabrina war er schon jetzt ein König, der Mann, zu dem sie aufsah, an dessen Seite sie sich träumte. Dem Anlass angemessen, hatte er seinen teuersten Anzug angezogen, einen dunkelblauen Einreiher von Armani. Er saß perfekt, das Sakko endete exakt in der Mitte zwischen Kragen und Schuhsohlen, die maßgeschneiderte Hose betonte seine athletischen Beine. Er hatte sich bewusst für das dunkle Blau entschieden, weil es zu seinen blonden Haaren und den himmelblauen Augen einen interessanten Kontrast bot. Dieser Abend würde in jeder Beziehung ein voller Erfolg werden. Und erst die Nacht!
In diesem Moment ging die Tür auf, und Sabrina Parlotti trat auf die Straße. »Franz, du siehst toll aus! Wieso habe ich diesen Anzug noch nie an dir gesehen?«
»Weil ich ihn ausschließlich bei ganz besonderen Anlässen trage«, hauchte er und küsste sie auf die Wangen.
Sie bemühte sich, den Kopf nicht abzuwenden und erwiderte seine Begrüßung. »Franz, du schmeichelst mir. Lass das lieber, sonst falle ich gleich über dich her.«
Junghans stieß ein Lachen aus, das sie schaudern ließ. »Ich kann mir Schlimmeres vorstellen. Aber zuerst widmen wir uns dem kulinarischen Teil. Du siehst übrigens auch sehr verführerisch aus, du solltest viel häufiger Röcke tragen. Darf ich bitten?« Mit einer leichten Verbeugung hielt er ihr die Wagentür auf.
Er benahm sich wie ein Gentleman, unglaublich, wie er sich verstellen konnte. Wenig später saßen sie an einem stilvoll eingedeckten Tisch in einem Separee. Offensichtlich hatte Franz seinen Eroberungsfeldzug ebenso perfekt vorbereitet wie seine Gräueltaten. Er nahm ihre Hand – sie bemühte sich, nicht zusammenzuzucken –, dann schob er seinen Kopf ganz nah an sie heran, sah ihr in die Augen und sagte mit einem etwas herablassenden Lächeln: »Sabrina, wir können à la carte speisen, wenn du willst, aber ich war so frei, mit dem Chef de cuisine ein besonderes Menü für uns, für dich, zusammenzustellen, mit passender Weinbegleitung. Wenn du lieber …«
Obwohl sie angesichts der ungewollten Nähe und seiner Berührung eine Gänsehaut bekam, sagte sie mit dem Ausdruck tiefer Bewunderung: »Nein, Franz, ich bin begeistert. Ich gehe so selten essen, mit wem auch? Darum verlasse ich mich ganz auf dich. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass du das Menü vorher mit dem Küchenchef besprichst! Das ist wirklich kaum zu glauben. Und dieser Anzug! Du siehst wirklich umwerfend darin aus.« Es war notwendig, ihm zunächst genügend zu schmeicheln und seinen Geltungswahn hinreichend zu befriedigen. Erst wenn er sich fast am Ziel wähnte … Wohl fühlte sie sich nicht dabei, aber weniger wegen der unglaublichen Lügen, die sie ihm auftischte, sondern aufgrund der unkalkulierbaren Reaktion von Junghans.
Was seine Einladung anging, so hatte er sich mächtig ins Zeug gelegt. Das Menü war vom Aperitif bis zum Digestif eine virtuose Inszenierung. Parlotti aß Dinge und trank Weine, von deren Existenz sie vorher noch nicht einmal wusste. Und so wie das Küchenpersonal um sie herumscharwenzelte, war Franz offensichtlich ein gern gesehener Stammgast, der nicht aufs Geld schaute, auch nicht beim Trinkgeld. Dieser Abend würde ihn einige hundert Euro kosten, allerdings vollständig mit veruntreuten Fördergeldern subventioniert. Insofern musste sie kein schlechtes Gewissen ihm gegenüber haben.
Es ging auf Mitternacht zu, als Junghans vorschlug, zu ihm zu fahren. »Ich denke, dieser wunderbare Abend ist es wert, mit einem 98er Dom Perignon Rosé Vintage begossen zu werden. Glaub mir, so etwas hast du noch nie getrunken. Was heißt getrunken, das ist der falsche Ausdruck – genossen, zelebriert!«
Sie musste um jeden Preis vermeiden, mit ihm allein zu sein, durfte sich keineswegs in die Höhle des Löwen begeben. »Mein lieber Franz, Vorfreude ist die schönste Freude. Wäre es arg vermessen, dich zu bitten, dass wir noch eine Weile hierbleiben? Du hast so eine romantische Lokalität ausgewählt!« Junghans war anzumerken, dass ihm nach Handfesterem gelüstete als nach Romantik, aber er entsprach ihrem Wunsch.
Das war
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