Das Monster von Bozen
ihm bestimmt nicht bloß um Geld aus seinen Subventionsbetrügereien, er war auch süchtig nach Macht, Anerkennung, Bewunderung. Warum sonst hätte er ausgerechnet Gemini ins Fadenkreuz der Ermittlungen rücken, warum ihn als Sündenbock auswählen sollen?
Auf den ersten Blick war das riskant, denn Gemini war ein selbstbewusster, undurchdringlicher Typ, der in Verhören wohl kaum aus der Fassung zu bringen war. Deshalb sollte sie sich ja als Lockvogel zur Verfügung stellen, weil Gemini partout nicht gestand. Eigentlich wäre es für Junghans viel einfacher gewesen, den Verdacht auf Schimmel zu lenken. Der hätte irgendwann jedes Verbrechen gestanden, auch wenn er es gar nicht begangen hatte, nur, damit es aufhörte.
Doch aus Junghans’ Sicht war Gemini das perfekte Opfer, denn damit war das Zugpferd der SSP aus dem Weg geräumt. Würde Schimmel verurteilt und Gemini müsste die Geschicke der Firma alleine steuern, dann würde er einen Typen wie Junghans zum Teufel jagen. Mit Schimmel hatte er dagegen einen wunderbaren, weil völlig überforderten Mäzen. Hilflos saß er vor seinen Mitarbeitern und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Und just in diesem Moment tauchte Junghans auf und präsentierte ihm seine ach so tolle Marketingstrategie. Sie hatte es vor dem Gespräch mit Bellini noch nie von dieser Warte aus betrachtet, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie, dass Junghans exakt das war, wofür sie ihn hielt: ein absoluter Widerling, gewissenlos genug, um zu morden. Leider hatte sich Bellini auf Klaus Mantinger eingeschossen. Aber nun hatte sie unerwartet die Gelegenheit, Junghans auf eigene Faust zu enttarnen. Sie hatte auch schon eine Idee, wie sie es anstellen konnte.
Das Gespräch mit Klaus hingegen hatte bei ihr unbekannte Saiten zum Schwingen gebracht. Sie hatte schon immer tiefe Gefühle für diesen außergewöhnlichen Mann empfunden. Seine körperliche Kraft, seine Gelassenheit, sein enormes Fachwissen und dazu diese anziehende Kombination aus Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Und seine tiefe Naturverbundenheit, die bewies, dass er ein guter Mensch war. All das hatte sie angezogen, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, aber niemals hätte sie sich getraut, ihm das zu sagen. Dafür war sie in solchen Dingen zu schüchtern. Wahrscheinlich fürchtete sie Ablehnung mehr, als sie sich eingestehen wollte. Abgesehen davon hatte sie kaum Erfahrung mit Männern. Das halbe Jahr mit Sven, öde und lustlos, dann ein paar Monate mit Fulvio, oh Gott, dieser krankhafte Männlichkeitswahn, noch mal ein Jahr mit Manfredo, diesem Muttersöhnchen. Lange Zeit hatte sie mit der Männerwelt abgeschlossen, ihren Traumprinzen schien es nicht zu geben.
Bis ihr Klaus soeben auf diese wunderbare Weise nähergekommen war. Vielleicht hatte sie endlich die Chance ihres Lebens. Nach nichts sehnte sie sich mehr als nach einem verständnisvollen Mann, mit dem sie eine lustvolle, harmonische, auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basierende Partnerschaft aufbauen konnte. Die anfängliche Unsicherheit bei dem Gedanken, dass da ein Mordverdächtiger in ihre Wohnung spazierte, war völlig verschwunden. Zwar hatte sie ihm unterschwellig mit Aufdeckung gedroht, aber sie hatte ihm auch versprochen zu schweigen. Und außerdem war er ganz bestimmt unschuldig. Das spürte sie genau.
Jetzt empfand sie nur noch Vorfreude. Sie würde dieses Spiel wie vereinbart eine Weile mitspielen. Wenn endgültig feststand, dass Klaus unschuldig war, würde sie ihm eröffnen, dass man sie zu diesem Verhalten gezwungen hatte. Und ihm gestehen, dass alles erfunden war außer der Tatsache, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
Da fiel ihr ein, dass sie noch eine SMS schreiben musste.
***
Vincenzo und Marzoli waren längst wieder in der Questura, als Vincenzos Handy piepte. »Endlich!«, sagte er erleichtert und rief die SMS ab. Der Fisch ist an der Angel, ich bin in zehn Minuten da.
Das Gespräch dauerte nur eine Viertelstunde. Sabrina Parlotti erzählte, wie das Treffen mit Mantinger verlaufen war und wann er sie besuchen würde. Ihren eigenen Plan behielt sie für sich. Es fiel ihr schwer, Besorgnis zu heucheln, als Bellini auf sie einredete: »Signora Parlotti, das ist außergewöhnlich mutig von Ihnen. Sie wissen, dass Sie sich in große Gefahr begeben! Der Mörder ist gefährlich, unberechenbar, dessen sollten Sie sich stets bewusst sein. Sie müssen sich in jedem Moment an unsere Absprache halten.
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