Das Moskau-Spiel
abgeräumt von der Miliz oder von Konkurrenten.
Theo trat ganz nah an ihn heran, was der andere mit einem frostigen Lächeln verbuchte. »Bringen Sie mich aus Russland heraus«, sagte Theo. »Ich zahle gut.«
Der Mann musterte Theo in aller Ruhe, dann suchten seine Augen die Umgebung ab, blieben kurz an dem wartenden Mann hinter Theo hängen, dann zog er einen kleinen Notizblock und einen Bleistift aus der Tasche, schrieb etwas, riss den Zettel ab und reichte ihn Theo. Er wandte sich fast im gleichen Zug dem Mann hinter Theo zu. Der ging zur Seite, den Zettel in der Hand. Dann las er ihn. 17 UHR LENIN - MAUSOLEUM .
Ein verrückter Treffpunkt, dachte Theo, aber doch klug gewählt. Da standen immer Leute, da fiel man nicht gleich auf, schon gar nicht als Tourist. Und ihn würde das FSB überall suchen, aber gewiss nicht am Lenin-Mausoleum. Der Tschetschene, so nannte ihn Theo nun, schien seine Lage blitzschnell erfasst zu haben. Aber vielleicht würde er ihn auch hereinlegen. Womöglich gab es eine Belohnung für den, der half, Theo zu fassen. Und vielleicht nutzte der Tschetschene die Zeit, sich danach zu erkundigen.
Als er wieder in der überheizten Metro stand, die Menschen drängten sich aneinander und kämpften beim Anfahren und Anhalten gegen die Massenträgheit, als müssten sie eine unfreiwillige Fitnessübung absolvieren, da fiel Theo wieder ein, was Henri erzählt hatte über seine Moskauer Flucht. Er hatte es natürlich nicht wörtlich in Erinnerung, aber er reimte es sich zusammen: Ich bin ins GUM abgehauen, da kann man was essen und was trinken, da kann man untertau chen, wenn man sein Aussehen vorher ein wenig ver ändert hat. Neue Kleidung ist wichtig. Mit ein bisschen Glück findet einen dort keiner. Auf der Flucht braucht man Stationen zum Verschnaufen, gerade im Winter. Da ist das GUM ideal. Wenn du flüchtest, überwachen sie die Flughäfen, Bahnhöfe, Straßen, Hotels, aber dass sich einer in einem Kaufhaus auf dem Roten Platz ver steckt, direkt gegenüber vom Kreml, das glauben sie eher nicht. Also ab ins GUM . So ähnlich hatte Henri es gesagt, und es klang immer noch überzeugend, auch wenn man glauben mochte, dass die anderen es genauso wussten und gerade deshalb von ihren Regeln abwichen. Doch dann sagte sich Theo, dass auch das FSB keine unbegrenzten Möglichkeiten habe und darauf aus sein müsse, dass er nicht aus Russland herauskam. Wenn sie das verhindern konnten, würde sich alles Weitere von selbst finden. Denn wer glaubte schon, dass sich ein Mann aus dem Westen lange im winterlichen Moskau verstecken konnte?
Egal, er musste nun die Zeit totschlagen und durfte sich nicht erwischen lassen. Als er ein Kopiergeschäft entdeckte, hatte er eine Idee. Er kopierte die Akte, kaufte einen Umschlag, steckte die Kopien hinein und erstand an einem Kiosk Briefmarken. Den Umschlag adressierte er an Paula und steckte ihn in den ersten Briefkasten, den er sah. Er lächelte.
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Major Eblow verließ die Überwachungswohnung und ging hinaus auf die Straße. Dafür, dass er mit einem Bein im Grab stand, fand er sich ziemlich gelassen. Er vertraute auf seinen Einfallsreichtum, im schlimmsten Fall würde es einen Unfall geben, der seiner Karriere nicht nützen, aber ihn vor dem Tod retten würde. Eblow zweifelte nicht im Geringsten daran, dass er das Recht hatte, sein Leben um diesen Preis zu schützen. Er mochte diesen Martenthaler, schätzte seine offenkundigen beruflichen Fähigkeiten, hielt ihn für einen charakterfesten Zeitgenossen und fand, dass sie unter anderen Umständen hätten Freunde werden können. Nein, er würde ihn nur äußerst ungern töten. Am liebsten wäre es ihm, Martenthaler würde vom Erdboden verschluckt, dann wäre die Sache erst einmal erledigt. Aber wenn sie ihn schnappten, würde Henri reden. Jeder würde reden, wenn Tschebrikow ernst machte.
Er ging um das Botschaftsgelände herum und stieg in den Kleinbus, der gegenüber dem Tor wartete. Drinnen saßen drei Männer. Der Bus war ausgestattet mit einem mächtigen Funkgerät, drei Bildschirmen, einem schmalen Tisch und zwei gegenüberstehenden Bänken mit verschlissenen schwarzen Polstern. Auf den Tisch war ein Stadtplan von Moskau geklebt. Es war Eblows Befehlszentrale, von hier aus würde er die Jagd koordinieren und den Augenblick bestimmen, wann sie zuschlugen.
Auf dem linken Bildschirm sahen sie das Botschaftstor. Die Funkkamera war gegenüber in eine Mauer eingelassen und von außen nicht erkennbar. Das
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