Das Moskau-Spiel
länger sie ihn anglotzten. Theo sah es wie hinter einem durchsichtigen Vorhang. Sie zerrten ihn zu einem Hinterausgang, wo ein Transporter mit laufendem Motor wartete. Fenster hatte er nur vorn. Die Schiebetür öffnete sich, ein Mann streckte seine Hand aus und zog Theo ins dunkle Auto, während andere schoben. Dann wurde die Tür zugezogen und das Licht ging an. Sie hatten ihn auf eine Bank gesetzt, und ihm gegenüber saß ein Mann, den er kannte. Es war Henri.
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Einen Plan im eigentlichen Sinn hatte Henri nicht. Er wusste nur, dass er auf keinen Fall zum Flughafen fahren durfte. Er hatte keine Mühe, sich vorzustellen, was für einen Affentanz die Genossen vom KGB dort veranstalten würden. Henri war klar, was er nicht tun durfte, aber er hatte keine Ahnung, wie er jemals die Sowjetunion verlassen konnte. Oder doch, eine vage Idee begann sich in seine Gedanken zu mischen, während er sich mühte, das Geholper der Straße im Kofferraum des Opels auszuhalten.
»Wir haben noch einen hinter uns, den muss ich loswerden«, rief Scheffer, der den Wagen durch den Verkehr steuerte. Er fuhr kreuz und quer durch Moskau, hatte zuerst vorgetäuscht, den Flughafen anzusteuern,war dann aber in eine andere Richtung abgebogen und fuhr seitdem offenkundig ziellos umher. Er baute darauf, dass seine Verfolger irgendwann unaufmerksam wurden, da dieser verrückte Typ aus Westdeutschland sie doch nur ablenken sollte von der Limousine, die den Spion zum Flughafen bringen sollte. Scheffers Aufgabe war nun, die genervten Verfolger abzuhängen, ohne dass die es als Abhängen verstanden. Er hatte es schon zwei Mal an Ampeln versucht, als er bei Dunkelgelb noch durchgefahren war, nachdem er zuvor die Bremsleuchten hatte brennen lassen. Aber der Lada, besetzt mit drei Männern, war bei Rot durchgefahren und einmal fast in einen Unfall verwickelt worden. Das wäre natürlich die beste Variante gewesen. Aber warum sollten sie gerade dann Glück haben, wenn sie ein paar Tonnen davon hätten brauchen können?
Scheffer begann dichten Verkehr zu suchen. Er näherte sich der Stadtmitte und rief Henri zu, er möge sich festhalten, wahrscheinlich bleibe ihm nichts übrig, als es auf die harte Tour zu versuchen. Was das war, wusste er auch noch nicht so genau. Er bog in eine Seitenstraße ein und sah im Rückspiegel den Lada. Die nächste Seitenstraße, dann, nach einem Ampelstopp, landete er auf einem vierspurigen Zubringer. Sie fuhren direkt in Richtung Zentrum. Scheffer zog auf die linke Spur und wendete auf die Gegenfahrbahn. Der Lada hatte keine Mühe dranzubleiben. Scheffer beschleunigte, sah auf der rechten Spur eine kleine Kolonne, vorneweg ein reichlich verbeulter Dacia, dahinter ein Wolga, dem ein Lastkraftwagen und ein Kleintransporter folgten. Er überholte die Kolonne, zog den Opel scharf auf die rechte Seite und trat mit aller Kraft auf die Bremse, als er dicht vor dem Dacia fuhr. Er beobachtete im Rückspiegel, wie der Dacia ebenfalls eine Vollbremsung machte, und gab Gas, damit der Wagen ihm nicht hinten auffuhr. Er ließ den Fuß auf dem Gas stehen, während er immer wieder in die Spiegel schaute.
Der Dacia wurde mit großer Wucht von dem Lkw gerammt, und der Kleinbus prallte auf den Lkw. Die Autos schleuderten über die Straße, der Kleinbus kippte um. Scheffer schnaufte, schaute noch einmal fast ungläubig in den Spiegel und rief Henri zu: »Irgendein Idiot hat einen Unfall gebaut. Die Straße ist dicht.« Dann bremste er den Opel auf die vorgeschriebene Geschwindigkeit herunter und nahm die nächste Seitenstraße, fuhr in ein Viertel mit Mietshäusern, ließ den Wagen auf einem fast leeren Parkplatz ausrollen, stieg aus, blickte sich um, öffnete den Kofferraum und sagte: »So, und jetzt hau ab. Da vorn ist eine Haltestelle der Elektrischen.«
Henri musste damit rechnen, dass jemand gesehen hatte, wie er aus dem Kofferraum geklettert war. Er beeilte sich, den Ort zu verlassen. Es war kalt und windig, so, wie es eben im März in Moskau war. Man sollte sich den Sommer für Verfolgungsjagden aussuchen. Er grinste grimmig und sah bald die Haltestelle der Elektrischen. Dort warteten schon einige Leute, die meisten älter als Henri und einige von ihn ärmlich gekleidet. Aber auch eine Frau mittleren Alters im Pelz stand da, ein wenig abgesetzt von den anderen. Die Bahn kam, und Henri fand einen freien Gangplatz, sodass er gegen die Sicht von außen einigermaßen abgeschirmt war. Im Wagen war es viel zu warm, aber jedes Mal,
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