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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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wenn der Zug hielt, strömte eisige Luft hinein. Neben Henri saß ein alter Mann, der vor sich hin summte und seinen Sitznachbarn nicht beachtete. Er trug eine blaue Wollmütze, die er bis über die Ohren hinuntergezogen hatte.
    Henri überlegte einmal mehr, welche Möglichkeiten ihm blieben, wenn er überhaupt davon sprechen konnte. Zurück zur Botschaft wäre blödsinnig. Mit Si cherheit war die weiträumig umringt von KGB – Leuten, die verhindern wollten, dass er sich dort verkroch. Und selbst wenn er durchkam, wäre das nur der Auftakt ei ner neuen Runde, denn die Sowjetregierung würde ihn sofort ausweisen, um ihn auf dem Weg zum Flughafen abzufangen. Sie würde am Ende jeden Skandal in Kauf nehmen. Der Aufstand, den die Überwacher vor der Botschaft gezeigt hatten, verriet, was Henri ohnehin ahnte, nämlich dass sie ihn verdächtigten, an Tschernenkos Ermordung mitgestrickt zu haben. Wahrscheinlich hatte Mavick ihn verraten. Er überlegte, ob er Angela um Hilfe bitten sollte, aber wie sollte sie ihm helfen? Henri mühte sich, die Wehmut abzuwehren, die sich beim Gedanken an sie anschlich. Sie konnte nichts für ihn tun, und er würde sie nur in diese heillose Geschichte hineinziehen, ohne den Trost zu haben, dass es ihm irgendwas nutzte.
    Vor dem Kursker Bahnhof stieg er aus und ging den Weg zum Roten Platz zu Fuß. Er musste sich neue Kleidung besorgen, also ging er ins GUM . Im Obergeschoss fand er einen Laden, der Kleidung verkaufte, die mit Mode allerdings nichts zu tun hatte. Er fand dick gefütterte Arbeitskleidung, eine Kunstpelzmütze, schwere Handschuhe und Stiefel, hässlich wie die Nacht, aber die Sachen konnten ihm nicht hässlich genug sein. Er ließ sich seine Westkleidung in eine gebrauchte Papiertüte verpacken und verließ das Geschäft.
    Dann ging er zu einem Stand im Erdgeschoss, an dem Tee ausgeschenkt wurde und es auch Kuchen gab, der pappig aussah und, wie sich dann herausstellte, auch so schmeckte. Er schaute sich um, während er am erstaunlich guten Tee nippte, und registrierte zufrieden, dass ihn niemand beachtete. In seiner Kleidung sah er aus wie ein russischer Handwerker. Im Augenwinkel erkannte er eine Milizstreife. Bleib ruhig, befahl er sich. Sie werden nur auf dich aufmerksam, wenn du fliehst. Tatsächlich gingen sie plaudernd an ihm vorbei. Die Anspannung wich, und er war erst einmal zufrieden.
    Henri zwang sich zur Ruhe, wenigstens äußerlich. Er wartete vor einer Telefonzelle am GUM . Zwei Frauen und ein alter Mann standen vor ihm, bis eine junge Frau, erstaunlich modisch gekleidet und mit gefärbten blonden Haaren, ihr Gespräch beendet hatte. Am liebsten hätte er sich unter einem Vorwand – ein Krankheitsfall, ein Verbrechen – vorgedrängt, aber er durfte nicht auffallen. Die Füße froren, sonst war die Kleidung dem Wetter gut angepasst. Er bewegte die Zehen und begann dann auf den Fußballen zu wippen. Endlich war die junge Frau fertig. Als sie die Zelle verließ, warf sie ihm einen herausfordernden Blick zu, für den Bruchteil einer Sekunde nur, als durchschaute sie seine Tarnung. Der alte Mann schlurfte zur Zelle, nahm den Hörer, warf ein paar Kopeken ein und wählte. Gleich legte er wieder auf und trat hinaus, um sich hinter Henri anzustellen. Er brummte. Die Frau schwatzte eine ganze Weile, dann legte sie endlich auf und Henri war an der Reihe. Er wählte die Nummer, die er sich eingeprägt hatte, und sagte nur: »Wladimir lässt grüßen.« Dann schaute er auf seine Armbanduhr und merkte sich die Zeit.
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    »Ich hatte gehofft, du hättest den Code vergessen«, sagte der KGB – Major. »Aber seit wann erfüllen sich unsere Hoffnungen?« Natürlich duzten sie sich jetzt.
    Eblow bezahlte für beide, und sie betraten den Gorki-Park. Ein Eisbrecher arbeitete sich in der Moskwa ab. Auf einem zugefrorenen See drehten Kinder und Erwachsene Pirouetten auf Schlittschuhen, das Schleifgeräusch wurde Henri und Eblow vom Wind zugetragen.
    »Ich suche gerade einen Spion am Flughafen«, sagte Eblow. »Aber der ist verschwunden.«
    Henri musste lachen, aber es erstarb gleich wieder.
    »Wenn uns jemand zusammen sieht, bin ich tot. Und du wahrscheinlich auch«, sagte Eblow. »Das Einfachste wäre, ich würde dich auf der Stelle erschießen.« Er gab sich wenig Mühe, seine schlechte Laune zu verhehlen.
    »Du musst mich rausbringen.«
    Eblow hustete vor Schreck. Doch dann begann er zu überlegen. Schweigend zogen sie durch den Park.
    »Wenn ich dich herausbringe, dann nur

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