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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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hier, ganz nah am Zoo.«
    Im Aufzug roch Henri, dass Weihrauch sich parfümierte, nicht aufdringlich, aber nicht überriechbar.
    Im zweiten Stock führte Weihrauch Henri zu einer Tür in einem langen Gang, öffnete diese, blieb daneben stehen und zeigte hinein. »Bitte!«
    Henri betrat ein großes Büro, ein Chefbüro. Schreibtisch, Sitzecke, Regal, eine Topfpflanze, zwei Moskauer Stadtansichten an der Wand, das Übliche. Ein Blick aus dem Fenster zeigte graue Fassaden von Mietwohnungen. Dazwischen leuchtete das fleckige Gold eines Zwiebelturms. »Ich trommle die Kollegen zusammen. Nachher haben Sie einen Termin beim Kollegen Gebold, das ist der andere Stellvertreter meiner Wenigkeit. Ihr Gegenspieler, wenn Sie so wollen.« Er lachte hell über seinen Scherz.
    Während Weihrauch telefonierte, hatte Martenthaler plötzlich Hamann im Ohr. »Lassen Sie sich durch das Gehabe dort nicht beeindrucken. Die fühlen sich alle wichtig. Bedeutendste Botschaft und so weiter. Sie tun so, als wären Sie Stellvertreter von Weihrauch. Das ist Ihre Legende. Wenig originell, aber wirksam. Die Russen kennen Sie noch nicht, das ist ein Vorteil. Wir lassen Sie unter Klarnamen arbeiten, Ihr Deckname für Berichte und den Kontakt zu uns ist ›Vogel‹. Fragen Sie mich nicht, wer auf den Namen gekommen ist. Verhalten Sie sich am Anfang ruhig, keine Aktionen, dann werden die vielleicht denken, Sie seien tatsächlich Pressefritze, und werden Sie irgendwann nicht mehr so genau im Auge behalten. Erst dann werden Sie aktiv. Ihr Kollege da, Gebold, den hat das KGB längst auf dem Kieker. Die Genossen der Zweiten Hauptverwaltung haben einen Haufen Personal, Geld und Zeit. Wir könnten Gebold abziehen, aber das wäre falsch, weil die Genossen dann sofort den Nachfolger suchen würden. Also lassen wir Gebold weiter spionieren. Allerdings so, dass nichts herauskommt, sodass die Genossen denken, sie hätten es mit einem Trottel zu tun. Er wäre nicht der erste in diesem Gewerbe. Und ich gestehe, Gebold spielt seine Rolle verdammt gut.«
    Henri wusste immer noch nicht, wie der Abteilungsleiter das gemeint hatte. Ein typischer Hamann, Andeutungen, Zweideutigkeiten, oft unter der Gürtellinie, ein Zyniker oder besser gesagt einer, der den Zynismus als Ruhekissen gewählt hatte. Hamann würde nicht mit den Wimpern zucken, wenn er einen in den Tod schicken müsste. War er moralisch auch ein Schwein, so hatte Henri an seinen Fähigkeiten nicht den geringsten Zweifel. Der kleine dürre Mann mit der frühen Vollglatze und dem Schmiss am Kinn kannte die Sowjetunion und wusste aus eigener Erfahrung, was es bedeutete, im Herzen des finsteren Imperiums Spione anzuwerben. Natürlich wollte er nicht wissen, was Hamann absondern würde, wenn es Henri böse erwischte, wenn er rausgeschmissen wurde aus der Sowjetunion oder wenn einer seiner Agenten aufflog. Auf Mitleid sollte er nicht wetten.
    Sie raubte ihm den Atem in dem Augenblick, als sie das Büro betrat. Sie war knapp über eins siebzig, schlank, trug halblange dunkelbraune Haare, hatte ein schmales Gesicht und große Augen. Pinkfarbene Bluse und kurzer schwarzer Rock, kaum geschminkt. Es stimmte al les an ihr. Er schätzte sie auf Anfang dreißig. Sie reichte ihm die Hand, die er vorsichtig nahm, während Weihrauch sie vorstellte: »Angela Morgenstern, welch schöner Name«, sagte Weihrauch, und es schien Henri, dass er das nicht zum ersten Mal gesagt hatte. »Pressereferentin. Wertet die sowjetischen Zeitungen aus und muss viel Fernsehen gucken. Irgendwann wird sie Quadrataugen haben. Bis dahin aber genießen wir ihre natürliche Schönheit.«
    »Solange man den Morgenstern nicht auf den Schädel geschlagen bekommt«, sagte Henri und erschrak über sich selbst. Plump, wie dumm, dachte er. Sei nicht so verkrampft.
    Angela lachte ihn an. Er schaute ihr in die Augen, einwenig zu lang. Sie schaute offen zurück, als wollte sie fragen: Was bist du denn für einer? Sie sagte: »Das Mittelalter ist vorbei, Herr Kollege, falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten. Und heute nimmt man anderes, um es Leuten auf den Kopf zu hauen.«
    Wie meinte sie das, verdammt? Henri war sauer auf sich selbst. Wie kann man nur so blöd sein?
    Dann blickte er zur Tür, wo der nächste Mitarbeiter eintrat. Ein großer Mann, kräftig gebaut, derbes Gesicht, kurze weißblonde Haare, ein wenig schmierig.
    »Karl Herbst, das Mädchen für alles«, stellte er sich vor. Er hatte einen wabbeligen Händedruck. Er schaute Henri kaum an und

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