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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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auf die Autobahn zurück. Rechts zog sich der Odenwald, weitab Einzelhäuser an Hängen, Dörfer, Weinberge. Auf dem Kamm immer wieder Burgen.
    Er beschleunigte, fuhr wieder langsam, beschleunigte, ließ wieder Autos vorbei. Aber er tat dies sehr unauffällig, bedächtig. Am Frankfurter Kreuz war er endlich zufrieden und gab Gas. Der Diesel brummte, und Henri konzentrierte sich nur noch aufs Fahren. Im Autoradio verfolgte er teilnahmslos die Nachrichten, das war nicht mehr seine Welt. Terror, Klimakatastrophe, der Niedergang der Wohlfahrtsstaaten, der Aufstieg Asiens, Kriege der Weltmächte in den Wüsten und in den Bergen. Einen Bericht vom Nahostkonflikt empfand er als Nachhall der finsteren Zeit. Eine Reminiszenz.
    An einer Raststätte nördlich von Kassel tankte er und trank einen Espresso, der bitter schmeckte. Abgefahren war er hier spontan, als er das Schild eines Autobahnmotels gesehen hatte. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr die paar Hundert Meter zu dem Motel, ließ sich unfreundlich mustern von einem Rentner, der den Nachtportier mimte, checkte ein, stieg die Treppe zum ersten Stock hoch, öffnete die Zimmertür und begab sich in den Muff, der ihm entgegenströmte. Fast alles war dunkelrot, die Bettdecke, der Stuhl, auch der Teppich. Die Wände waren ockerfleckig tapeziert. Als er das schwere Fenster aufriss, dröhnte der Verkehr hinein. Aber er hielt es ein paar Minuten aus. Dann schloss er das Fenster und zog den Vorhang zu, ging ins Bad, machte sich fertig und legte sich aufs Bett. Ganzweit weg, gedämpft durch die Lärmschutzscheiben, das Rauschen der Autobahn. Henri schaltete das Licht aus und starrte an die Decke. Durch den Vorhangschlitz zuckten schwache Lichtblitze der Autoscheinwerfer ins Zimmer. Er lag unbewegt und bedachte noch einmal, was er sich vorgenommen hatte. Bald schlief er ein.
    Nach einem Frühstück aus Plastikverpackungen und einem ekligen Kaffee fuhr er weiter. In Hamburg entschloss er sich, dieA1in Richtung Lübeck zu nehmen, folgte ihr bis zum Autobahnkreuz Bargteheide und hätte fast die Abzweigung nach Kiel verpasst, die in einer scharfen Kurve lag. Auf der A 21 ging es weiter, bis bald schon Bad Segeberg auftauchte. Irgendetwas sagte ihm, er solle in Richtung Ostsee fahren, und er folgte der B 432 nach Puttgarden. Die Sonne brach sich in den schon dunkelbraunen Blättern der Allee, nachdem er, wie ein Schild ihm verriet, die Trave überquert hatte. Immer weiter. Er sah eine Ausschilderung nach rechts: Pronstorfer Krug. Das sprach ihn an, und er folgte der Wegweisung, die in einigem Abstand an einem See entlangführte. Er kam durch ein Dorf, und nach einigen Biegungen las er das Straßenschild. Klinkerbauten, rechts, an einer Linkskurve, nach hinten versetzt, ein großer Gutshof, an der Straße ehemalige Landarbeiterhäuser, links eine Felssteinkirche. Nach zwei Aussiedlerhäusern stand er plötzlich vor dem Hotel. Es war ein großes, weiß verputztes Gebäude, rechts davon zweistöckige Holzhäuser, davor ein Rasen mit Swimmingpool, Stühlen und Tischen.
    Die Rezeption war im großen Gebäude. Eine adrett gekleidete Frau mittleren Alters gab ihm mit einem Lächeln den Schlüssel für das Zimmer, das im Erdgeschoss des am nächsten gelegenen Holzhauses lag. Er trug sein Gepäck dorthin, das Zimmer war einfach, aber funktionell eingerichtet, sauber und groß. Hier würde er es gut aushalten. Am Abend wählte er aus der erstaunlichen Speisekarte ein Zanderfilet und ein Glas Riesling. Während er aß, bedauerte er es schon, dieses Hotel gewählt zu haben, denn er dürfte nun nie wieder herkommen, um Urlaub zu machen.
    Am späten Vormittag fuhr er nach Bad Segeberg, fand in der Fußgängerzone eine Telefonzelle, wartete, bis ein alter Mann fertig war, betrat sie, steckte eine Telefonkarte in den Schlitz, wählte eine lange Nummer mit Moskauer Vorwahl, wartete angespannt und war erleichtert, als abgenommen wurde. Doch da war nur Schweigen. Henri drückte den Hörer fest an den Mund und sagte auf Russisch: »Hören Sie genau zu oder zeichnen Sie es auf, es wird nicht wiederholt. Wladimir lässt grüßen. Vor zwei Monaten sind zwei gekommen. Einer ist abgereist. Der andere ist gefährlich.« Er legte auf und verließ die Zelle.

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II.

    Dunkelgraue Wolken lasteten schwer auf der Stadt, Schneematsch am Straßenrand. Babuschkas in dicken Mänteln unter Wollmützen, Kinder auf dem Weg von der Schule. Zögerlich nahm der Winter die Stadt in seinen kalten Griff im November

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