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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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abzufangen.
    Dieser Petrow hatte ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet. Denn wenn er seine Warnung nach Moskau weitergegeben hätte, dann wären der Generalstab und das Politbüro womöglich zu der Überzeugung gelangt, es handele sich um den sicher erwarteten Enthauptungsschlag, eingeleitet durch einen EMP – Angriff auf Moskau, der zwangsläufig erwidert werden musste mit einem alles vernichtenden Gegenschlag, der die USA wiederum zwingen würde, ihre Raketen binnen Minuten zu starten, bevor sie zerstört würden. Es ähnelte dem Mobilisierungsautomatismus des Ersten Weltkriegs, aber im Vergleich dazu wäre 1914 der Aufbruch in eine fröhliche Jagdpartie.
    Hinter ihm hupte es. Die Ampel war längst grün. Eblow gab Gas, fuhr ein Stück und blieb dann am Straßenrand stehen. Wenn Petrow sie alle gerettet hatte, wenn seine Befehlsverweigerung die Erde vor der Vernichtung bewahrt hatte, dann stimmte etwas nicht. Er zündete sich eine Zigarette an und öffnete das Fenster einen winzigen Spalt. Wenn eine Fehleinschätzung irgendeines Kommandanten irgendeines Überwachungszentrums ir gendwo in der Sowjetunion genügte, die Welt an den Rand der Selbstzerstörung zu bringen, und wenn man davon ausgehen musste, dass es in den USA oder viel leicht auch in China nicht anders war, dass auch dort Offiziere auf Monitore starrten in der Erwartung, ohne jede Verzögerung grüne, gelbe oder wie auch immer gefärbte Punkte zu erkennen, dann war es doch nur eine Frage der Zeit, bis es schiefging. Nicht überall saß ein Petrow vor dem Schirm. Nicht überall war einer bereit, sich gegen Befehle zu stellen.
    Wir sind also in einer Lage, in der es richtig sein kann, Befehle nicht auszuführen. In der man sogar Befehle nicht ausführen darf. In der man auf nichts anderes hören darf als auf sich selbst.
    › ‹
    Theo saß in seiner Zweizimmerwohnung in München-Hadern und trank. Er hatte nie zu den Alkoholikern gehört, die sich die Seele aus dem Leib soffen. Er hatte sich nie schon am Morgen die Kante gegeben. Er hatte es immer geschafft, im Dienst so nüchtern zu bleiben, wie es nötig war.
    Jetzt war es ihm egal.
    Nach seiner Rückkehr aus Moskau hatte er sich erst einmal den erwarteten Rüffel abgeholt, der aber weniger deftig ausgefallen war, als er befürchtet hatte. Klein hatte sogar, soweit das in seinen Möglichkeiten lag, Verständnis angedeutet, etwas von mangelnder Erfahrung gesagt, die kein Lehrgang ersetzen könne. Allerdings die Sache mit der Zeitung, die Theo in einem Anflug der großen Selbstreinigung zugegeben hatte, die wollte Klein ganz schnell vergessen, bevor er wütend würde.
    »Nie wieder will ich so etwas erfahren. Und das heißt, dass Sie es nie mehr tun. Haben Sie mich verstanden?«
    Theo hatte genickt, und er hatte allen Grund, demütig zu sein. Blöder kann man sich nicht anstellen.
    »Jetzt machen Sie erst einmal Urlaub. Überstunden haben Sie bestimmt auch angehäuft. Ich will Sie jedenfalls in den nächsten paar Wochen hier nicht sehen. Und wenn Sie wiederkommen« – es klang wie: falls Sie wiederkommen –, »dann überlegen wir, wohin wir Sie stecken.«
    Immerhin hatte Klein ihn nicht gefeuert.
    Warum eigentlich nicht? Wegen alter Geschichten mit dem Vater? Aber wenn Klein und der Vater sich so spinnefeind waren, warum hatte Klein die Chance nicht genutzt, Henri noch einmal in den Arsch zu treten? Weil er wusste, dass Henri nichts anfangen konnte mit seinem Sohn?
    Draußen war es längst dunkel geworden. Er hörte den eisigen Wind, der ums Haus pfiff, und dachte an Sonja, die ihn mit dem dümmsten Trick der Welt hereingelegt hatte. Aber immerhin, er lachte trocken, immerhin war es schön gewesen. Es erregte ihn schon, wenn er an sie dachte, ihren straffen Körper und ihre erstaunlichen Brüste, die sie so geschickt verborgen hatte unter dem Arztkittel. Warum hatte Sonja das gemacht? Warum hatte sie diese Schmierenkomödie mitgespielt, die zweifellos Oberst Mostewoj, wenn er denn so hieß, und dieser Staatsanwalt, wie hieß er noch, ja, Salachin, in höherem Auftrag eingefädelt hatten. Er stellte sich vor, wie die beiden in einer Kneipe saßen, sich zuprosteten und nicht mehr aufhören konnten zu lachen. Und Sonja saß auf dem Schoß von diesem Fettsack mit den traurigen Augen, der einen so anguckte, als wüsste er nicht, was eine Lüge ist. Er spürte Eifersucht, dann lachte er und trank das Glas Wodka aus. Vielleicht würde er nie mehr aufhören zu trinken. Er sah sich um in seiner erbärmlichen

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