Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
alle alles wissen, dann fühlt sich niemand benachteiligt. Ich weiß, die Genossen« – er betonte es mit Verachtung – »spionieren alles aus, was der Westen entwickelt. Also mache ich das auch. Damit jeder versteht, was die andere Seite treibt, und sich vorbereiten kann. Und wenn die Maßnahmen zur Vorbereitung auch ausspioniert werden, na, dann hat keiner einen Vorteil. Vielleicht begreifen die Leute am Ende, dass die Rüstung ihnen keinen Vorteil bringt und sie den anderen mit nichts überraschen können. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Ja«, sagte Henri. Doch er verstand es nicht ganz. Ihm erschien es wirr.
    Rasputin stand auf, hektisch wie immer, und ging. Am Anfang ihres Treffs hatte er Henri wieder einen Umschlag zugeschoben. Das war riskant, doch waren Henris Versuche gescheitert, den Mann an tote Briefkästen zu gewöhnen.
    »Nein, ich muss sehen, wer meine Papiere nimmt.«
    Als Henri das GUM verließ und gerade überlegte, dass es viel zu riskant war, stets denselben Treffpunkt zu nutzen, und sich fragte, warum Rasputin darauf bestand, erhielt er einen brutalen Schlag ins Kreuz, zwei Mann an seiner Seite zerrten seine Arme auf den Rücken, der Stahl der Handschellen war kalt, und sie wurden eng geschlossen. Vor ihm stand ein mittelgroßer Mann mit Pelzmütze, Kunstlederjacke und Schnürstiefeln mit starken dunklen Bartstoppeln, der ihm provozierend ins Gesicht lachte und dann zuschlug. Er traf Henri über dem Auge. Henri spürte mehr die Gewalt des Schlags als den Schmerz.
    › ‹
    In dieser Nacht beschloss Theo, mit der Sauferei erst einmal aufzuhören. Es wäre ehrlicher, sich gleich umzubringen, als es scheibchenweise zu tun. Saufen ist feige. Theo wachte auf, bevor die Sonne dämmerte. Er stellte sich an die Balkontür und verfolgte den Sonnenaufgang. Durch die Nacht brachen Sonnenstrahlen, die sich im Dunst spiegelten wie Licht im Wasser. Das hatte er noch nie gesehen. Staunend erblickte er das gewaltige Ereignis eines Sonnenaufgangs über den Dächern der Stadt. Er hatte in der Nacht wenig geschlafen, sondern nach dem Gedanken gesucht, der ihm entglitten war. Und der ihm, vielleicht nur dadurch, immer wichtiger wurde.
    Es hatte keinen Sinn zu verzweifeln. Lieber springen. Aber das wollte er nicht. Da war noch Leben in ihm, und er war zu jung, es wegen einer Niederlage wegzuwerfen. Niemand war von Sieg zu Sieg geeilt. Die größten Feldherrn waren durch Niederlagen gereift. Er rief sie sich ins Gedächtnis und begann zu lachen, weil man solche Gedankengebäude ja auch verstehen konnte als den Umschlag einer Depression in Größenwahn. Immerhin hatte er etwas zu lachen. Er beschloss, sich diese Niederlage genau anzuschauen. Sich an alles noch einmal zu erinnern, an jede Minute seiner Idiotentour. Und dann wollte er die richtigen Fragen stellen. Die Fragen, die er gleich hätte stellen müssen. Er begann mit dem Gespräch bei Klein, der ihn nach Moskau geschickt hatte. Je länger er versuchte, sich alles zurückzurufen, desto verrückter kam es ihm vor. Warum habe ich nicht dagegengehalten? Warum habe ich nicht gesagt: Da gibt es andere im Dienst, die haben mehr Erfahrung, die wissen viel besser, wie die in Moskau spielen? Die waren vielleicht sogar schon hereingelegt worden und hatten diese besondere Lektion gelernt. Aber er hatte es nicht gefragt. Er hatte sich blenden lassen von der Auszeichnung, als Ermittler des Kanzleramts nach Russland zu fliegen. Klein hatte mit seiner Eitelkeit gespielt. Und was hatte er über Scheffer erfahren, bevor er nach Moskau reiste? So gut wie nichts. Klein hatte ihn zum Vater geschickt, aber Henri hatte geschwiegen wie ein Grab, und Klein hatte es vorher gewusst. Wollte er so eine Verantwortung abschieben? Verantwortung für was? Henri kannte Scheffer, hatte aber nichts gesagt. Was verband Klein, Henri und Scheffer? Da war etwas, daran konnte es keinen Zweifel geben. Und noch wichtiger: Warum verschwieg Klein, was sie miteinander verband? Klein hatte ihn blind nach Moskau geschickt. Daraus konnte Theo nur schließen, dass Klein verhindern wollte, dass Theo etwas herausfand. Warum hatte Klein überhaupt jemanden geschickt? Die Urne – wo war die eigentlich geblieben, ach, egal –, die Urne hätte jeder Botschaftsdepp abholen können. Offenbar musste Klein gegenüber dem Kanzleramt zeigen, dass der Dienst sich be müht hatte, Scheffers Tod aufzuklären. Die in Berlin hatten gewiss die Stirn gerunzelt. Damit können wir uns nicht abspeisen lassen. Wir können es

Weitere Kostenlose Bücher