Das Moskau-Spiel
nicht zulassen, dass ein deutscher Staatsbürger, zumal ein Mitarbeiter des BND , einfach umgelegt wird. Klären Sie das. Aber Klein hatte jemanden geschickt, der das nicht konnte. Weil Theo Informationen fehlten und weil er zu grün hinter den Ohren war. Ja, du bist zu grün hinter den Ohren. Aber jetzt hast du etwas gelernt: Traue niemandem. Bezweifle alle Erklärungen, die überzeugendsten zuerst.
Er mühte sich, ehrlich zu sich zu sein. Theo wusste, dass es ihm an Erfahrung mangelte. Er hielt sich für intelligent, seine Analysen waren bisher gelobt worden, seinen Vorschlägen waren die Vorgesetzten oft gefolgt. Aber er hatte kaum Erfahrung im Feldeinsatz. Das Herumlungern in westeuropäischen Metropolen hatte nichts zu tun mit der Arbeit in Moskau. Und die Zeit, die er zuvor dort verbracht hatte, war merkwürdig ereignislos gewesen. Moskau war eine eigene Welt, sie war nach wie vor verschlossen, und auch wenn die Regierung sich demokratisch gab, ahnte man doch das modernisierte Machtgerüst des Sowjetsystems. Es gab keine Staatspartei mehr, kein ZK , kein Politbüro, und das KGB trug andere Namen. Aber die Justiz war mindestens so übel wie in Sowjetzeiten. Und Oppositionelle wurden immer noch eingesperrt oder sogar ermordet. Wer gegen das Putin-Regime war, lebte gefährlich.
Theo erinnerte sich an den Auftritt des Staatsanwalts Salachin und des angeblichen Kripobeamten Mostewoj. Sie hatten ihn als das behandelt, was er war. Ein grüner Junge. Ja, er war ein grüner Junge. Ich bin ein grüner Junge. Er wiederholte es noch ein paar Mal. Und Klein und Mostewoj und Salachin hatten es ausgenutzt. Sie hatten ihr Spiel mit ihm getrieben. Welches?
Theo spürte die Rachsucht in sich aufsteigen. Diese Schweine. Was konnte er tun, um es ihnen heimzuzahlen? Jetzt verstand er, dass Kleins Verständnis für ihn nur eine weitere Demütigung war. Es war seine Art, ihn auszulachen.
Und Mostewoj, dieser Scheißkerl, hatte ihn bei Sonja abgegeben. Das Theater mit dem angeblich kranken Institutsleiter war nur der erste Schritt in Sonjas Bett. Alleseine Inszenierung. Auch dass Mostewoj gleich wieder wegwollte aus der Rechtsmedizin. Und Theo hatte noch spekuliert, ob der ein Verhältnis hatte! Nein, er wollte ihn mit Sonja allein lassen. Wie konnte es ihr gelingen, ihn so restlos abzuzocken? Warum musste er Wodka saufen bei Wladimir, nachdem er so lange trocken gewesen war? Er kam sich vor wie der Tölpel, den andere auf die Reise schickten, um sich zu amüsieren. Und Henri, welches Spiel spielte Henri? Theo erinnerte sich an diesen seltsamen Empfang in Staufen. Nun gut, sie hatten kein Verhältnis zueinander, sie hatten nichts miteinander zu tun, und Theo bedauerte es inzwischen nicht mehr, keinen Vater gehabt zu haben. Oder doch? Hatte er auch mitgemacht beim Marionettentheater mit Theo als Puppe? Oder hatte Klein ihn zu Henri geschickt, damit niemand sagen konnte, Klein habe etwas verheimlicht, die Ermittlungen behindert? Wie würde Klein den Reinfall gegenüber dem Kanzleramt vertreten? Wie die Tatsache, dass er einen grünen Jungen nach Moskau geschickt hatte?
Ich hätte früher darüber nachdenken müssen. Wenige Bausteine des bösen Spiels zeichneten sich ab. Hatten die Moskauer mit den Pullachern zusammengespielt? War das eine große deutsch-russische Verschwörung? Und wenn ja, mit welchem Ziel?
Je länger er grübelte, desto mehr zerrannen ihm die Gewissheiten zwischen den Fingern. In dem Chaos der Fragen, Ideen und Spekulationen aber keimte und festigte sich allmählich ein Gedanke, den Theo erst ungläubig erkannte, um ihn dann zu drehen und zu wenden auf der Suche nach all seinen Absurditäten, bis er schließlich Besitz von ihm ergriff. Er wusste nun, was er zu tun hatte.
Ich fahre noch einmal hin, auf eigene Faust. Und wenn ich dabei draufgehe.
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»Ich bin ein diplomatischer Vertreter der Bundesrepublik Deutschland«, stammelte Henri. »Ich genieße Immunität!« Sein Schädel dröhnte, als hätte ein Hammer ihn getroffen.
»Du bist ein verdammter Spion und genießt jetzt die Lubjanka«, sagte der Typ mit den Bartstoppeln in perfektem Deutsch. Dann schlug er Henri in den Magen, was den nach vorn zusammensacken ließ, während ihn die beiden Männer rechts und links zu einem graublauen Lieferwagen zerrten, die Tür zum Laderaum aufschoben und ihn hineinstießen. Der eine von den Kerlen roch stark nach einem billigen Rasierwasser. Komisch, dass es mir auffällt, dachte Henri. Die wenigen Meter, die sie
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