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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Zigarette und ging nicht weiter auf Henris Katastrophengerede ein. Das kannte sie schon. Sie hatten sich aneinander gewöhnt, nachdem sie eher zufällig im Bett gelandet waren nach einem Botschaftsempfang. So zufällig es geschehen war, so unvermeidlich erschien es beiden. Sie passten zueinander, jedenfalls besser als zu jedem anderen in der Botschaft und in deren Umfeld. Was Henri bald auch gefiel, neben dem entspannten Sexund ihrer Lässigkeit, war der so erstaunliche wie erfreuliche Umstand, dass sie nie wissen wollte, was er wirklich tat. Wenn der Zwerg ihm anzeigte – etwa durch einen verabredeten Kreidestrich an einem Telefonmast, einen Stein in einer bestimmten Ecke eines Grabes, es wurde jedes Mal etwas anderes vereinbart –, dass er ihn treffen wollte, dann hatte Henri schon zweimal eine Verabredung mit Angela absagen müssen, was sie mit einem lächelnden »Schade« kommentierte und es darauf beruhen ließ. Es war für beide nicht die große Liebe, aber es war ein durch und durch vernünftiges Arrangement, das sie von Anfang an vom Berufsalltag trennten. In der Botschaft waren sie zwar zum Duzen übergegangen, doch verzichteten sie auf jede weitergehende Nähe.
    Noch eine wichtige Neuerung hatte es gegeben: Gebold war abgezogen worden. Es erleichterte Henri, wenn der faule Fettsack in den letzten Monaten auch vollkommen resigniert und Henri in Ruhe gelassen hatte. Eines Tages teilte er Henri mit, dass die Zentrale ihn nach München gerufen habe, und eines anderen Tages war Gebold weg, ohne sich verabschiedet zu haben. Erst seitdem fühlte Henri sich frei und stürzte er sich voller Eifer auf seine Arbeit. Der Zwerg, der inzwischen verlangte, dass Henri ihn »Rasputin« nannte, hatte weiteres Material geliefert, und Pullach war begeistert, handelte es sich doch um die technischen Zeichnungen eines Jagdflugzeugs, das allen westlichen Typen wenigstens ebenbürtig war. Niemand hatte sich bei Henri beklagt, dass er früher aktiv geworden war und Gebold umgangen hatte. Mavicks blödsinnige Forderungen hatte Henri ignoriert, bisher ohne Folgen.
    Am wichtigsten aber war ihm der Kontakt zu Scheffer. Der war zwei Mal aus Leningrad gekommen unter dem Vorwand, Wirtschaftskontakte zu pflegen, und sie hatten sich ausgetauscht über die Lage in der sowjetischen Führung. Scheffer, obwohl nicht in Moskau stationiert, war erstaunlich gut informiert. Er hatte offenbareine erstklassige Quelle in der Leningrader Parteiführung. Er war für das Leben in Russland wie geschaffen. Wie kein anderer begeisterte er sich für die russische Literatur, war ein Kenner der sowjetischen Geschichte in all ihren Verästelungen und zeitbedingten absoluten Wahrheiten. Ein lebhafter Mann, der ununterbrochen reden konnte, ohne seinen Gesprächspartner auch nur eine Sekunde zu langweilen. »Und wer sonst als Tschernenko? Der ist doch jetzt dran. Und außerdem macht der es nicht mehr lang«, sagte Angela.
    »Diese Kerle sind zäher, als man glaubt. Denk an Breschnew, der ist doch noch als Leiche durch die Gegend gelaufen. Und Tschernenko ist Breschnews Wiedergänger. Wahrscheinlich halten sie ihn noch zehn Jahre am Leben. Oder bis zum großen Knall.«
    »Damit hast du’s in letzter Zeit aber so richtig, was?«
    In der Tat, er hatte Angst und war sich sicher, dass dieses Beschwören und öffentliche Verdammen der großen Katastrophe diese nur ankündigte. Es war das Mantra dieser Jahre. Nie seit 1945 wurde so oft vom Krieg und Frieden gesprochen, und wenn oft vom Frieden gesprochen wird, ist der Krieg nicht mehr weit. Es gab nicht das geringste Zeichen für Hoffnung.
    »Wenn Reagan draufgegangen wäre bei dem Attentat, wann war das noch mal? Im März einundachtzig, glaube ich« – sie nickte –, »dann …«
    »… wäre ihm Bush gefolgt und hätte alles genauso gemacht. Die Amis sind derzeit auf dem Trip Raketen und Sternenkrieg, da hilft so ein Attentat gar nichts. Lege den einen Irren um, folgt ihm der andere Irre.«
    Er schaute sich um, ob jemand mithörte, aber er sah niemanden. An der Wand dampfte ein Samowar. Durch beschlagene Fenster sah man draußen schemenhaft den Schnee fallen.
    Er lächelte sie an. Sie war manchmal burschikos bis zur Grobheit, und es gefiel ihm. »Aber hier ist das anders«, sagte er und schaute sich wieder um.
    Sie warf ihm einen langen Blick zu, dann nickte sie. »Hier ist es anders«, wiederholte sie.
    »Wenn man wüsste, was dann kommt …«
    »Vielleicht kann man es erfahren?« Sie schaute ihm in die Augen und

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