Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
Aschenbecher und ein Glas heißen Tee. In den meisten Aschenbechern lagen brennende Zigaretten.
»Es besteht kein Zweifel, dass sowohl die Russen wie auch die Weißrussen die Sicherheitsvorkehrungen an unserer gemeinsamen Grenze drastisch verschärft haben«, dozierte der gerade Vortragende, ein rundlicher Oberst, während er mit seinem Zeigestock auf verschiedene Punkte der Karte deutete. »Sie haben jeden noch so kleinen Grenzübergang von Dobrjanka, hier im Norden, bis hin nach Charkiw, im Osten, geschlossen. Grenzverkehr wird nur über die an größeren Schnellstraßen aufgebauten Kontrollstellen erlaubt – und auch dann nur nach intensiver Durchsuchung. Darüber hinaus melden meine Kollegen vom Westlichen und Südlichen Operationskommando ähnliche Maßnahmen in ihrem Gebiet.«
»Das ist aber noch nicht alles, was die Russen tun«, unterbrach ein Offizier auf der anderen Seite des Tisches ärgerlich. Er kommandierte
eine Brigade von Deckungstruppen, eine neue Formation aus verschiedenen Waffengattungen, die mit Aufklärungspanzern, Kampf- und Aufklärungshubschraubern sowie schwer bewaffneten Infanterieeinheiten mit Panzerabwehrgeschützen operierte. »Meine Vorposten haben beobachtet, dass an mehreren Stellen entlang der Grenze Aufklärungstruppen in Kompanie-und Bataillongröße operieren. Anscheinend versuchen sie, die Stützpunkte unseres Grenzschutzes exakt zu lokalisieren.«
»Wir sollten auch diese Gerüchte über Truppenbewegungen, die uns von den Amerikanern zugetragen wurden, nicht außer Acht lassen«, meinte ein anderer Oberst. Die gekreuzten Jagdhörner auf seinen Schulterstücken wiesen ihn als Mitglied der Nachrichtentruppen aus, doch das war nur Tarnung. In Wahrheit diente er dem Nördlichen Operationskommando als Leiter des Geheimdienstes.
Beifälliges Kopfnicken rund um den Tisch. Der amerikanische Militärattaché in Kiew hatte Geheimdienstberichte verbreitet, die andeuteten, dass einige russische Eliteeinheiten – luftbewegliche, gepanzerte und mechanisierte Brigaden – aus ihren Kasernen rund um Moskau verschwunden seien. Keiner dieser Berichte konnte bestätigt werden, doch beunruhigend waren sie trotzdem.
»Wie lautet Moskaus offizielle Erklärung für diese ungewöhnliche Aktivität?«, fragte ein korpulenter Panzerdivisionskommandeur neben dem Geheimdienstchef. Er saß etwas vorgebeugt, sodass die Deckenleuchten sich in seinem blanken Glatzkopf spiegelten.
»Der Kreml behauptet, das seien bloß vorsorgliche Anti-Terror-Maßnahmen«, antwortete General Martschuk schleppend, während er seine Zigarette ausdrückte. Seine Stimme klang heiser und sein hoher Uniformkragen war von Schweißflecken durchtränkt.
Major Poljakow versuchte, ein besorgtes Stirnrunzeln zu unterdrücken. Trotz seiner fünfzig Jahre hatte der General normalerweise eine kräftige, gesunde Konstitution, doch an diesem Tag war
er krank – sehr krank sogar. Schon den ganzen Tag hatte er kein Essen mehr bei sich behalten können. Trotzdem war er nicht davon abzubringen gewesen, diese Abendbesprechung einzuberufen. »Es ist nur eine verdammte Grippe, Dimitri«, hatte Martschuk gekrächzt. »Ich werde schon darüber hinwegkommen. Augenblicklich verlangt die militärische Lage meine volle Aufmerksamkeit. Du kennst doch mein Motto: An erster Stelle steht die Pflicht.«
Wie jeder gute Soldat, der einen Befehl bekommt, hatte Poljakow nur genickt und gehorcht. Was hätte er sonst tun können? Doch nun dachte er beim Anblick seines Vorgesetzten, dass er besser darauf beharrt hätte, einen Arzt zu rufen.
»Und? Glauben wir unseren lieben russischen Freunden und Nachbarn, Alexander?«, fragte der Panzerkommandeur trocken. »Was diese so genannten Anti-Terror-Maßnahmen anbelangt?«
Martschuk zuckte die Achseln. Selbst diese kleine Bewegung schien ihn Mühe zu kosten. »Der Terrorismus ist eine ernste Bedrohung. Nicht nur die Tschetschenen versuchen, Moskau und seinen Interessen schaden, wo und wann sie können. Das wissen wir alle.« Er hustete heiser, hielt einen Moment inne, um Atem zu schöpfen, und zwang sich dann fortzufahren. »Doch mir ist nicht eine Erklärung geboten worden – weder von unserer Regierung noch von den Russen selbst – die so viel militärische Aktivität in so großem Rahmen rechtfertigen würde.«
»Was sollen wir also tun?«, fragte einer der anderen Offiziere leise.
»Wir werden unsere eigenen Vorkehrungen treffen«, erwiderte Martschuk grimmig. »Auch wenn sie nur dazu dienen
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