Das Mozart-Mysterium
setzte sich. Er war noch immer ungehalten: »Wie soll denn das gehen? Seit wann kümmern sich Musiker um die Angelegenheiten von Illuminaten?«
Bach erwiderte: »Schon seit Sie erstmals Kontakt mit Herrn Mizler hatten, verehrter Herr. Die Illuminaten hatten Sie schon immer unter Beobachtung, da auch Sie ein prominenter Freimaurer sind. Und die Illuminaten wollen Ihnen persönlich übel. Außerdem, alle machtvollen Vereinigungen hier im Lande werden mittlerweile von den Illuminaten bekämpft, da diese alle Gewalt, real oder geistig, an sich reißen möchten. Auch die Societät Mizlers tut das ihrige dazu. Aber es gibt noch eine weit größere Gefahr, als Sie beide bisher ahnen.«
Mir fiel auf, dass Franz nun plötzlich als ›Herr‹ angeredet wurde, meine Vermutung war wohl nicht ganz falsch gewesen, dass er weitaus einflussreicher war, als er vorgab, zumal er – wie ich nun erfahren hatte – hochrangiger Freimaurer war wie Mozart. Soweit ich wusste, waren die Freimaurer durchweg wohlhabende Bürger, keine einfachen Diener, auch wenn die Logen für die Menschenrechte eintraten. Verblüffend war nur, dass Mozart nie erwähnt hatte, dass auch Franz ein Freimaurer war – wie es aussah, hatten also diese beiden Herren Geheimnisse.
Eine dralle Magd brachte den Tee und der alte Diener stellte, um den im Grau der aufkeimenden Nacht versinkenden Raum zu erhellen, hohe Kerzen auf, die auf Bodenständern um unsere Sitzgruppe im Wintergarten herum verteilt wurden. Die Palmen und hohen Farnblätter warfen dunkle Schatten nach hinten, die große Teile des Zimmers im Dunkel verbargen.
Bach sprach mich an: »David, beschreiben Sie mir, was Sie als die Merkmale der idealen Melodie bezeichnen würden.«
Zu meinem Glück hatte ich ein bildhaftes und verlässliches Gedächtnis und gab zunächst mehr oder weniger die bereits von uns ›erbeuteten‹ Gesetze wieder.
Danach wusste ich jedoch nicht weiter und Bach bemerkte es sogleich: »Sehr schön memoriert. Jetzt wird selbst nachgedacht! Welche Melodien kennen Sie auswendig? Denn: Eine ideale Melodie muss ja den Leuten in der Gasse so bekannt sein, dass sie diese auswendig nachpfeifen können. Andernfalls wird man damit nicht reich und berühmt, oder?«
Er hatte recht. Alle Gesetze, die wir bisher kannten, waren Teile eines Rezeptes, um Gassenhauer zu komponieren, Melodien, die den Menschen wie ein Ohrwurm durch den Kopf gingen und durch ihre Verbreitung den Komponisten unsterblich machten.
Franz hatte denselben Gedanken. Vorsichtig gesprochen, fast stammelnd, brachte er hervor: »Also: ›Innsbruck, ich muss dich lassen‹?«
Lucchesini brach in lautes Gelächter aus, krümmte sich geradezu vor Lachen: »Ha! Der liebe Franz! Innsbruck! Wie wär’s mit: ›Salzburg, ich muss dich lassen?‹ Das könnte bald auf Sie zukommen!«
Beschämt und verärgert senkte Franz seinen Blick. War dies eine Drohung gewesen oder war Lucchesini einfach nur gehässig?
Ich rettete Franz und griff ein: »Seien Sie nicht so boshaft. Stehen Sie mir lieber Rede und Antwort: Hat die Mitgliedsgabe des Liedkomponisten Meinrad Spieß, die hier in der Bibliothek steht, mit des Rätsels Lösung zu tun?«
Bach erwiderte: »Könnte wohl sein …«
»Liege ich richtig, dass das das gesuchte Gesetz also mit dem Begriff ›Lied‹ im weiteren Sinne zu tun hat?«
»Sie sind auf der rechten Spur.«
Daraufhin sagte ich langsam: »Eine ideale Melodie ist schlicht wie in einfachen Liedern, wie in den Volksliedern!«
Lucchesini und Bach riefen beide zugleich »Bravo!« und klatschten in die Hände, unter Äußerungen des Erstaunens.
Ich war verblüfft, wie angenehm die Atmosphäre plötzlich war. Bach rief den Diener und hieß ihn, Wein zu bringen. Franz umarmte mich sogar. Die Magd und eine weitere Dienerin in wallendem Gewand brachten Gläser, die leise klirrten. Bach flüsterte dem mit Weinkaraffen herbeieilenden Diener etwas ins Ohr. Kurz darauf, als die Mägde uns den Wein eingeschenkt hatten, kamen durch die Tür zwei Musiker in den Wintergarten, die schweigsam Querflöten aus ihren Hüllen zogen und frohe Flötenduette anstimmten.
Bach prostete mir und Franz zu, auch Lucchesini stieß mit uns an, ausgelassen und überschwänglich. Er rief zu Bach hinüber, da er die Musik übertönen musste: »Wo sind Ihre zwei schönen Bekannten, die zurzeit als Gäste bei Ihnen weilen? Wollen Sie die beiden nicht zu unsrer Feier holen lassen?«
Bach lachte schelmisch. »Natürlich, natürlich. Weshalb nicht?
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