Das Multiversum 2 Raum
im Herzen des kaum zweihundert Lichtjahre entfernten Quasars erstrahlte in unnatürlicher Helligkeit. Je zwei parallele Elektronenflüsse gingen von den Polen des Kraftwerks aus und strebten dem Zenit und dem Nadir entgegen. Und um den Äquator des Quasars spannte sich ein Ring aus glühendem Schutt.
Diese Kolonie-Welt lief fast innerhalb des Rings um, sodass der Schutt wie zwei himmlische Arme wirkte, die das Kraftwerk um-schlangen und die künstlichen Wolken unter der Blase berührten.
Der Himmel hing voller zwölfflächiger Körper mit glänzenden dreieckigen Seiten, die wie kantige Seifenblasen im All schwebten.
Es war ein phänomenaler Anblick.
Sie hatte sich entlang der Krümmung des Universums eine Milliarde Lichtjahre von der Erde entfernt. Aber das hatte sie nicht mitbekommen. Sie war gespeichert gewesen und von einem Tor zum andern gesprungen, seit sie Malenfant verlassen hatte.
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Ich bin eine Milliarde Jahre von zu Hause entfernt, sagte sie sich. Mein ganzes Wissen ist unter tiefen Schichten der Vergangenheit begraben. Die Menschen müssen die Erde verlassen haben oder untergegangen sein. Nicht einmal die Biosphäre der Erde hät-te so lang Bestand gehabt. Vielleicht bin ich der letzte Mensch.
Vielleicht bin ich auch schon ein Konstrukt außerirdischer Qualia; vielleicht bin ich gar kein Mensch mehr.
Damit muss ich mich aber noch nicht beschäftigen. Noch nicht.
Sie schaute zum Zenit hoch. Ein Galaxienhaufen schimmerte durch die Blase.
Die Galaxien leuchteten grün, jede Einzelne von ihnen.
Leben überall. Es triumphierte. Ehrfurcht, Staunen und Liebe wallten in ihr auf.
Das war natürlich der Beweis. Schon das Erwachen nach dem Sattelpunkt-Netzwerk war Beweis genug gewesen. Menschen und ihre Verbündeten – oder Rivalen oder Nachfolger – hatten den Wettlauf gegen die Zeit gewonnen, hatten die Grenzen der Galaxis gesprengt und waren ausgeschwärmt. Sie hatten sich im Universum ausgebreitet und Sattelpunkt-Verbindungen zwischen den Galaxien eingerichtet.
Und wenn sie schon so weit gekommen waren, dann mussten sie überall sein. Was für eine Vorstellung.
Aber …
Wohin nun, Madeleine?
Sie fragte sich, ob es möglich war, dass Malenfant in der einen oder anderen Form überlebt hatte, selbst über so eine gewaltige Spanne aus Raum und Zeit. Ihr war es immerhin gelungen. Sie lä-
chelte beim Gedanken an Malenfant, den grauen Cyborg.
Der Quasar versank nun hinterm Horizont; optische Filter in der Blase reduzierten die Helligkeit und ließen ihn rot erscheinen.
Der Elektronenfluss zeichnete den Himmel wie Bürstenstriche auf 705
Samt. Die letzten Spuren des Quasars färbten den Himmel wie kalter Rauch.
Es war so schön, dass es schmerzte.
Sie wandte sich ab und machte sich auf die Suche nach Malenfant.
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nachwort
Einen guten Überblick über unseren aktuellen Kenntnisstand, was außerirdisches Leben betrifft, bietet Paul Davies' Are We Alone?
(Penguin Books, New York 1995); deutsch: ›Sind wir allein im Universum?‹ (Scherz Verlag, Bern-München-Wien, 1996). Die Abschnitte, die auf dem Mond spielen, beruhen zum Teil auf Gesprächen mit dem ehemaligen Astronauten Charles M. Duke, der 1972 als Pilot der Mondfähre von Apollo 16 auf dem Mond spazieren gegangen ist. Natürliche Atommeiler gibt es tatsächlich; nachzulesen in ›Fossil Nuclear Reactors‹ von Michael Maurette, Annual Review of Nuclear Science, Band 26, S. 319-350 (1976). Ich habe im Journal of the British Interplanetary Society einen technischen Artikel über die Plausibilität eines Meeres im Innern des Monds veröffentlicht (Band 51, S. 75-80, 1998).
Für eventuelle Fehler, Auslassungen oder Fehlinterpretationen übernehme natürlich ich die Verantwortung.
Stephen Baxter
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