Das Multiversum 3 Ursprung
wäre?
Wer weiß, wozu ich es vielleicht noch gebracht hätte?«
»Das Leben ist unberechenbar«, sagte die Fahrerin, Xenia, unvermittelt. Sie hatte einen leicht osteuropäischen Akzent. Sie drehte sich um und nahm Paulis' Hand. »Wir können nichts anderes tun, als nach Möglichkeit füreinander da zu sein.«
»Trefflich gesprochen«, sagte Malenfant.
Sie setzte sich gemessen und wortlos hin.
»Um unseret willen, bitte treten Sie den Leuten in den Hintern, Sir«, sagte Frank Paulis.
»Ich muss in weniger als zwölf Stunden wieder von hier verschwinden, Frank. Sagen Sie mir, wen ich sprechen muss.«
Das Fahrzeug verließ den Aussichtspunkt und steuerte die ausgedehnte Basis an. Malenfant sog ein letztes Mal die frische Meeresluft ein und stellte sich schon einmal darauf ein, wieder von Men-schenmassen umgeben zu sein.
Schatten:
Schatten kauerte sich allein unter einen Baum.
Klaue kam keuchend vorbeigestapft. Er hatte eine gelbe Frucht in der Hand. Sie wich vor ihm zurück und suchte Schutz im 155
dunklen Schatten des dicken Baumstamms. Er stieß einen Schrei aus und schlug sie. Dann ging er mit gefletschten Zähnen weiter.
Fliegen umschwirrten ihre Hand. Das Gewebe zwischen Daumen und Zeigefinger war gerissen. Die Innenseiten der Schenkel waren zerkratzt und wund. An Bauch und Brüsten hatte sie Blutergüsse, und sie spürte einen stechenden Schmerz.
Klaue hatte sie wieder benutzt.
Sie angelte mit der Hand nach Nahrung – eine ausgelutschte Frucht, die jemand hoch über ihr hatte vom Baum fallen lassen, eine Raupe, die sie auf einem Blatt erspähte. Aber der Mund kaute ohne Genuss, und der Magen wollte die Nahrung nicht. Plötzlich wallte Übelkeit in ihr auf. Dünne stinkende Galle schoss ihr aus dem Mund. Sie wälzte sich stöhnend auf dem Boden und presste die verwundete Hand an sich.
Das Licht versickerte aus dem Himmel.
Es knackte im Unterholz, und laute Rufe ertönten, als die Leute von ihren Streifzügen zurückkamen und sich im Lager sammelten.
Die hochrangigen Frauen bauten sich zuerst ein Nest, verflochten Äste zu weichen, federnden Betten und ließen sich mit ihren Kindern darauf nieder.
Jemand hieb Schatten auf den Rücken oder trat dagegen. Sie wusste nicht, wer es war. Es kümmerte sie auch nicht.
Sie starrte auf den Boden. Sie aß nicht. Sie trank nicht. Sie kletterte auf keinen Baum, um sich ein Nest zu bauen. Sie konzentrierte sich nur auf den scharlachroten Schmerz in ihrem Bauch.
Kurz bevor das letzte Sonnenlicht erlosch, hörte sie ein Kreischen und Knacken hoch über sich. Der Große Boss ließ zum Ausklang des Tages noch mal die Muskeln spielen, sprang von Ast zu Ast, weckte die Frauen und warf die Männer aus den Betten.
Dann verstummten die Geräusche, wie das Licht erlosch.
Es stank.
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Sie hob die Hand in der blaustichigen Dunkelheit. Etwas Weißes bewegte sich zielstrebig in der Wunde zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie nahm die Hand vom Gesicht und steckte sie tief unter den Bauch.
Sie schloss wieder die Augen.
Tageslicht.
Sie stieß sich vom Boden ab. Sie setzte sich auf und kippte nach hinten gegen die Baumwurzel.
Sie war von lauter Leuten umgeben, die ihren vielfältigen Verrichtungen nachgingen. Sie sahen sie nicht im braun-grünen Schatten.
Ihr Pelz war mit Kot verschmiert. Er trocknete schon und roch komisch.
Der Mann namens ›der Dicke‹ versuchte sich als Anführer der Leute und wollte sie antreiben. Er entfernte sich von ihnen, fuchtelte mit einem Ast und klopfte hellroten Staub ab, der an seinen Beinen haftete. Er schaute zum Großen Boss zurück, entfernte sich noch etwas weiter und schaute sich wieder um.
Der Große Boss folgte ihm knurrend und mit gesträubtem Rü-
ckenhaar. Und dann folgten die anderen, einer nach dem andern.
Die Erwachsenen aßen beim Gehen, die Kinder spielten mit manischer Energie – wie gehabt.
Und nun erschien auch der kleine Boss. Er hockte sich vor Schatten hin. Er war ein großes schwitzendes Muskelpaket, noch größer und schwerer als der Große Boss selbst. Er nahm ihre verwundete Hand und drehte sie um. Er betastete die vereiterten Wundränder. Dann ließ er die Hand los, so dass sie in den Dreck fiel. Er beäugte sie naserümpfend.
Er stand auf und entfernte sich ein paar Schritte.
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Dann drehte er sich um. Er rannte zurück und trat mit voller Wucht nach ihr. Sie wich mit dem Kopf aus, aber er traf sie an der Schulter. Sie fiel auf den Boden.
Andere kamen herbei: Frauen, Männer, Kinder. Sie musste
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