Das Multiversum 3 Ursprung
Dazu ist es aber nie gekommen. Dann wurde sie für das Shuttle-Programm der Luftwaffe umgerüstet. Aber das Shuttle ist auch nie von hier gestartet, und nach der Challenger-Katastrophe wurde die Anlage eingemottet.«
»Um sie wieder in Betrieb zu nehmen, mussten wohl viele Mot-tenkugeln entsorgt werden«, sagte Malenfant.
»Da haben Sie recht.«
Und nun machte er im Herzen der rostig grauen, wie ein Indu-striedenkmal anmutenden Shuttle-Anlage einen schlanken, schneeweißen Turm aus, der sich wie schutzsuchend an den Startturm schmiegte.
Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der unteren Hälfte eines Space Shuttles – zwei Feststoff-Booster, die um einen dicken, rost-braunen externen Brennstofftank geschnallt waren –, nur dass kein mottenartiger Shuttle-Orbiter am Tank hing. Statt dessen wurde der Tank von einer stumpfen Nutzlast-Abdeckung gekrönt, die fast genauso breit war wie der Tank selbst. Die Stufe war von Nebel 150
umwabert, und Malenfant sah Eis auf den unlackierten Flanken glitzern; offenkundig führten die Ingenieure einen Brennstofftest durch.
Malenfant sträubten sich die Nackenhaare.
Er selbst hatte nämlich den ersten Entwurf eines solchen Big Dumb Booster zu Papier gebracht, Entwürfe, die zeigten, wie man auf der Basis der Shuttle-Technik eine Schwerlast-Trägerrakete, einen entfernten Nachfolger der Saturn V, für dieses besondere Projekt zu entwickeln vermochte. Mit Nemotos Sponsoren im Rücken hatte er die Konstruktion, die auf alten, nie realisierten Studien aus den 1970ern und 80ern beruhten, vorangetrieben. Er hatte die Computergrafik-Simulationen und die Modelle höchstpersönlich ›abgesegnet‹. Das ganze verdammte Projekt trug seine Handschrift.
Doch erst jetzt, in diesem profanen Moment, mit einem unun-terbrochen quatschenden Paulis und einer stummen Xenia in einem primitiven Auto auf diesem Hügel, sah er den BDB in Voll-endung: Den Big Dumb Booster, das Raumschiff, dessen Schicksal den Rest seines Lebens bestimmen würde – auf die eine oder andere Art.
Malenfant hatte die Zustimmung der Vizepräsidentin am Ende zwar bekommen, aber dem Budget und dem Zeitplan waren dann so enge Grenzen gesteckt worden, dass die NASA-Führung bald auf Unterstützung aus dem Privatsektor zurückgreifen musste.
Man hatte sich an Boeing gewandt, den langjährigen Partner beim Flugbetrieb des Shuttles, doch dann war Paulis in die Bresche gesprungen. Frank J. Paulis hatte sein Vermögen aus dem Nichts aufgebaut und es – untypisch für seine Generation – im Bereich der Schwerindustrie verdient, das heißt in der Luft-und Raumfahrtin-dustrie. Er hatte massive finanzielle Unterstützung und die Bereit-stellung seiner Konstruktions-, Fertigungs-und Testeinrichtungen im ganzen Land zugesagt – und sich dafür eine leitende Position im Management des BDB-Projekts ausbedungen.
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Die NASA hatte dieses Ansinnen zurückgewiesen, was auch vor-herzusehen war. Paulis hatte das Geld und die Logistik trotzdem bereitgestellt.
Doch als nach ein paar Monaten die ersten Probleme mit dem Projekt auftraten und der Plan zu scheitern drohte, ehe man überhaupt mit der praktischen Umsetzung begonnen hatte, hatte die NASA sich unter dem Druck des Weißen Hauses an Paulis gewandt.
Paulis' erste ›Amtshandlung‹ vor laufenden Kameras hatte darin bestanden, einen Berg aus NASA-Dokumenten vor der Startrampe zusammenzutragen. »Das ist nicht Canaveral, und das ist auch nicht das Shuttle-Programm«, hatte er seinen irritierten Mitarbei-tern erklärt. »Wir können es uns nicht leisten, in einem Wust von NASA-Papieren zu ersticken. Ich übertrage die Qualitätssicherung auf Sie, auf jeden Einzelnen von Ihnen. Ich vertraue darauf, dass Sie Ihre Arbeit machen.« Und dann setzte er den Dokumenten-haufen mit einem Flammenwerfer in Brand.
Es gab ein paar Leute, die ihre Laufbahn in der stark sicherheits-orientierten NASA-Bürokratie durchlaufen hatten und mit den neuen Gegebenheiten nicht zurechtkamen. Zwanzig Prozent des Personals reichte die Kündigung ein. Aber der Rest hatte Paulis in den Himmel überm Pazifik gejubelt.
Anschließend hatte Paulis sich als wahrer Meister in Sachen Öf-fentlichkeitsarbeit erwiesen. Der fertige Booster wurde zum großen Teil durch öffentliche Gelder finanziert, die man auf die unter-schiedlichste Art und Weise aufgebracht hatte – vom Limonaden-verkauf durch Pfadfinder bis zu Spenden großer Firmen. Wenn der BDB schließlich startbereit war, würde die Außenhaut mit
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