Das muss Liebe sein
stand oben auf der Leiter, den Bohrer in der einen, eine Wasserwaage in der anderen Hand, und ein Maßband hing hinten an seinem Werkzeuggürtel.
Sie hatte eigentlich nicht erwartet, dass er über ausreichende handwerkliche Kenntnisse verfügte, um den Job zu bewältigen, doch das Regalsystem aus Metallschienen sah ordentlich und gerade aus. Offenbar verstand Joe doch mehr davon, als sie gedacht hatte. Mara kniete vor der Wand und hielt das untere Ende der letzten Schiene, die noch anzubringen war. Der Ausdruck ihrer großen braunen Augen war ein wenig zu ehrfürchtig, als sie jetzt zu dem Detective aufblickte. Mara war unerfahren, und, wie Gabrielle vermutete, äußerst empfänglich für die moschusartigen Duftstoffe, die Joe ausdünstete.
Die drei hatten Gabrielle noch nicht bemerkt, genauso wenig wie den Kunden, der eine Reihe von Porzellanvasen begutachtete.
»So einfach ist das nicht«, sagte Kevin zu dem Detective hoch über ihm. »Man muss ein geschultes Auge und einen gesunden Instinkt haben, um mit Antiquitäten Geld verdienen zu können.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, als Joe zwei Schrauben in die obere Halterung der Metallschiene trieb. »Na ja, ich verstehe so gut wie gar nichts von Antiquitäten«, gestand er und stieg von der Leiter. »Meine Mutter ist eine Flohmarktfanatikerin, aber der Trödel, den sie anschleppt, sagt mir nichts.« Er kniete sich neben Mara und brachte die beiden letzten Schrauben an. »Danke für die Hilfe«, sagte er, bevor er wieder aufstand.
»Gern geschehen. Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte Mara, die aussah, als wäre sie zu jeder Schandtat bereit.
»Ich bin fast fertig.« Mit leicht gespreizten Beinen stand er da und zog noch einige Schrauben nach.
»Manche Leute finden auch auf Flohmärkten Antiquitäten«, sagte Kevin, als der Lärm verstummte. »Aber seriöse Händler kaufen gewöhnlich nur auf Haushaltsauflösungen und Auktionen. So habe ich auch Gabrielle kennen gelernt. Wir boten beide für dasselbe Aquarell. Es war eine Schäferszene, gemalt von einem hiesigen Künstler.«
»Von Kunst verstehe ich auch nicht viel«, gab Joe zu und legte den Unterarm auf eine Leitersprosse, den Bohrer noch in der Hand wie eine 45er Magnum. »Falls ich vorhätte, ein Bild zu kaufen, müsste ich jemanden um Rat fragen, der sich mit solchen Dingen auskennt.«
»Und das wäre auch das Klügste, was Sie tun könnten. Die meisten Leute wissen nicht, was wirklich wertvoll ist, und erkennen nicht mal, ob ihre Kunstgegenstände aus legalen Quellen stammen. Sie würden staunen, wie viele Fälschungen in angesehenen Galerien hängen. Da war dieser Einbruch bei…«
»Es war Trauerkunst«, fiel Gabrielle ihm ins Wort, bevor Kevin sich selbst noch weiter belasten konnte. »Wir haben für Trauerbilder geboten.«
Kevin schüttelte den Kopf, während sie auf ihn zukam. »Das glaube ich nicht. Trauerbilder finde ich schaurig.«
Joe sah sie über die Schulter hinweg an. Ihre Blicke begegneten sich, als er langsam fragte: »Trauerkunst?« Er ließ sich nicht hinters Licht führen. Er wusste genau, was sie im Schilde führte.
Es war ihr jedoch ziemlich gleichgültig. »Das sind Bilder, die aus dem Haar der lieben Verstorbenen hergestellt werden. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert erfreuten sie sich großer Beliebtheit, und auch heute noch besteht ein kleiner Markt für Haarkunst. Schließlich hegt nicht jeder eine Abneigung gegen Bilder aus Ur-Ur-Urgroßmutters Haar. Und manche sind sogar wunderschön.«
»Ich finde, das klingt morbid.« Joe drehte sich um und ließ den Bohrer an seinem orangefarbenen Kabel zu Boden gleiten.
Mara rümpfte die Nase. »Ich muss Joe Recht geben. Es ist morbid und abscheulich.«
Gabrielle mochte Haarkunst sehr gern. Sie fand sie seit jeher faszinierend, und ganz gleich, wie irrational ihre Gefühle waren, sie empfand Maras Bemerkung als Schmähung. »Du solltest den Kunden beraten, der sich drüben die Vasen anschaut«, riet sie ihrer Angestellten, und ihr Tonfall klang entschieden unfreundlicher, als sie beabsichtigt hatte. Mara furchte verwirrt die Stirn und ging hinüber in den Laden. Das nervöse Zucken in Gabrielles Auge meldete sich erneut, und sie presste die Finger auf die Stelle. Alles um sie herum zerfiel, und der Grund dafür stand vor ihr, in engen Jeans und T-Shirt, und sah aus wie einer dieser Bauarbeiter in der Diät-Cola-Werbung.
»Fehlt dir was?«, fragte Kevin, und seine offensichtliche Sorge steigerte ihr
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