Das muss Liebe sein
den Verstand verloren hätte. »Was glaubst du denn, was ich vorhatte? Einen obszönen Anruf?«
»Nein, aber ich finde, du solltest hier mit deinen Freundinnen nicht über Privatangelegenheiten sprechen. Das hier ist schließlich ein Geschäft.«
»Das sagst du mir?« Er verschränkte die Arme vor der Anzugjacke und kniff die blauen Augen zusammen. »Und was ist mit dir? Vor ein paar Minuten hingst du noch wie eine Klette an deiner Aushilfskraft.«
Jetzt war er sauer, aber eines nicht zu fernen Tages würde er ihr dankbar sein. »Ich gehe heute Mittag mit dem Vertreter von Silver Winds essen«, wechselte sie absichtlich das Thema. »Ich werde etwa zwei Stunden weg sein.«
Kevin setzte sich und fuhr seinen Computer hoch, doch er sagte nichts. Er sprach kein Wort mit ihr, während sie die Lieferbestätigungen prüfte und – in dem Versuch, ihn zu besänftigen – ihren Teil des Raums aufräumte.
Die drei Stunden bis zu ihrer Verabredung zum Essen erschienen ihr endlos lang. Sie gab Lavendel und Salbei in die Duftlampe aus Porzellan, verkaufte einiges und behielt verstohlen immer den Detective im Auge, der an der Wand zu ihrer Rechten die Regale abmontierte.
Sie beobachtete ihn, um sich zu vergewissern, dass er nicht noch mehr Wanzen anbrachte oder einen Revolver aus dem Stiefel zog und jemanden erschoss. Sie sah, wie sein Bizeps sich unter dem T-Shirt wölbte, als er die schweren Glasregale anhob, und sie sah seine breiten, muskulösen Schultern, als er sie einzeln ins Hinterzimmer trug. Er hatte sich den Werkzeuggürtel locker um die Hüften geschnallt wie ein Revolverheld, und immer wieder glitt seine Hand flink in die vordere Tasche, wo er die Holzschrauben verstaute.
Selbst wenn Gabrielle ihn nicht beobachtete, wusste sie, wann er den Raum verließ und wieder betrat. Sie spürte ihn wie den unsichtbaren Sog eines schwarzen Lochs. Wenn sie sich nicht gerade einem Kunden widmete, beschäftigte sie sich mit Staubwischen, einer Arbeit, die niemals ein Ende nahm, und sie vermied es weitestgehend, mit Joe zu reden, sondern beantwortete nur seine direkt an sie gerichteten Fragen.
Als die Uhr zehn schlug, spürte sie Verspannungen im Nacken, um halb zwölf hatte sich ein nervöses Zucken im äußeren Winkel ihres rechten Auges eingestellt. Um Viertel vor zwölf schließlich griff sie nach ihrem kleinen Lederrucksack und trat aus dem stressverseuchten Laden hinaus in den strahlenden Sonnenschein und fühlte sich, als wäre sie gerade aus zehnjähriger Haft entlassen worden.
Sie traf den Vertreter von Silver Winds in einem Restaurant in der Innenstadt, und sie suchten sich auf der Außenterrasse einen Platz und verhandelten über zarte silberne Halskettchen und Ohrringe. Eine leichte Brise ließ die Fransen der grünen Sonnenschirme über ihren Köpfen flattern, etwas unter ihnen auf der Straße floss der Verkehr vorüber. Gabrielle bestellte ihr Lieblingsgericht, Hühnchenragout, und ein Glas Eistee und wartete darauf, dass die Anspannung des Morgens aus ihrem Schädel wich.
Das Zucken in ihrem Auge verschwand, aber trotzdem konnte sie sich nicht richtig entspannen. So sehr sie es auch versuchte, sie konnte ihre Mitte nicht finden, ihren Geist nicht harmonisch stimmen. So sehr sie auch dagegen kämpfte, schweiften ihre Gedanken doch immer wieder zu Joe Shanahan ab und zu den wahrscheinlich vielfältigen Methoden, mit denen er Kevin während ihrer Abwesenheit ein falsches Geständnis entlocken könnte. Sie glaubte nicht, dass Detective Joseph Shanahan auch nur ein Fünkchen Feingefühl in seinem großen, muskulösen Körper hatte, und rechnete schon halb damit, den armen Kevin bei ihrer Rückkehr an einen Stuhl gefesselt vorzufinden.
Was sie dann jedoch begrüßte, als sie zwei Stunden später wieder in ihren Laden trat, war so ziemlich das Letzte, was sie erwartet hätte. Gelächter. Kevins Lachen mischte sich mit Maras, und beide standen neben einer Leiter und grinsten zu Joe Shanahan hinauf, als wären sie alle drei die besten Kumpels.
Ihr Geschäftspartner scherzte freundschaftlich mit dem Bullen, der entschlossen war, ihn ins Gefängnis zu bringen. Und Gabrielle wusste, dass Kevin den Knast noch mehr verabscheuen würde als die meisten Männer. Er würde die Kleidung und den Haarschnitt verabscheuen und die Tatsache, dass er kein Handy haben durfte.
Gabrielles Blick wanderte vom lachenden Gesicht des armen Kevin zu den acht neuen Regalleisten an der hinteren Wand, die vom Boden bis zur Decke reichten. Joe
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