Das muss Liebe sein
Neunzehnjährigen, der mit selbst gezogenem Rauschgift handelte, nicht sonderlich gut in die gängige Vorstellung der Bürger von ihrer Stadt und von sich selbst.
Und so stellten sie ihre Polizei infrage. Sie fragten sich, ob die Stadt einen Bürgerausschuss zur Überwachung der extremen Strategien ihrer Polizeibehörde benötigte, und sie fragten sich, ob sie einen abtrünnigen Undercover-Bullen hatten, der herumlief und ihre jungen Männer tötete.
Der Polizeichef war in den Regionalnachrichten aufgetreten und hatte die Bürgerschaft auf Robbys Strafregister hingewiesen. Die toxologische Untersuchung hatte beträchtliche Spuren von Amphetaminen und Marihuana in Robbys Blut gefunden. Die Rechtsabteilung und die Behörde für Inneres hatten Joe von jedem fehlerhaften Verhalten freigesprochen und entschieden, dass der gezielte Todesschuss unabdingbar war. Doch jedes Mal, wenn Robbys Foto auf dem Bildschirm oder in den Zeitungen erschien, fragten sich die Leute aufs Neue.
Joe hatte den Polizeipsychologen konsultieren müssen, aber nur wenig von sich gegeben. Was hätte er auch sagen sollen? Er hatte einen Jungen getötet, mehr Kind als Mann. Er hatte ein Leben auf dem Gewissen. Was er gezwungenermaßen getan hatte, war offiziell gerechtfertigt worden. Er wusste mit absoluter Sicherheit, dass er tot gewesen wäre, wenn Robby besser hätte schießen können. Er hatte keine Wahl gehabt.
Das sagte er sich selbst immer wieder. Und daran musste er festhalten.
Nachdem er zwei Monate lang zu Hause auf seinem Hintern gesessen und weitere vier Monate intensivster Physiotherapie abgeleistet hatte, durfte Joe wieder zur Arbeit gehen. Aber nicht mehr im Rauschgiftdezernat. Ohne weitere Erklärung wurde er in die Abteilung für Eigentumsdelikte versetzt. So hatten sie es bezeichnet, als Versetzung. Ihm war es jedoch ganz eindeutig wie eine Degradierung vorgekommen, wie eine Strafe dafür, dass er seine Arbeit getan hatte.
Joe lenkte den Caprice einen halben Blick von Anomaly entfernt in eine Parkbucht und entnahm dem Kofferraum einen Eimer Farbe und einen Sack mit Pinseln, einen Farbroller und einen Abstreifer. Trotz der Versetzung hatte er das, was in der Gasse mit Robby geschehen war, nie als Fehler betrachtet. Bedauerlich und unglücklich, etwas, woran er nicht denken mochte – etwas, worüber er sich weigerte zu reden –, aber nicht sein Fehler.
Anders sah es mit Gabrielle Breedlove aus. Das war nun wirklich sein Fehler gewesen. Er hatte sie unterschätzt, aber wer hätte auch gedacht, dass sie sich solch einen hirnrissigen Plan ausdenken würde, ihn in den Park zu locken mit nichts bewaffnet als mit einer antiken Derringer und einer Dose Haarspray.
Joe ging in den hinteren Teil des Ladens und stellte die Farbe und den Sack mit seinen Utensilien auf einer Arbeitsplatte neben dem Waschbecken ab. Mara Paglino stand am anderen Ende der Platte und packte Ware aus, die am Vortag angeliefert worden war. Offenbar enthielt die Lieferung keine Antiquitäten. »Was hast du da?«
»Gabrielle hat Baccarat-Kristall bestellt.« Ihre großen braunen Augen sahen Joe ein bisschen zu eindringlich an. Sie trug das dichte schwarze Haar in Locken, und ihre Lippen glänzten rot. Seit dem Augenblick, da Joe sie kennen gelernt hatte, wusste er, dass sie für ihn schwärmte. Sie lief ihm ständig hinterher und bot ihm ihre Hilfe an. Er fühlte sich zwar geschmeichelt, aber in erster Linie nervte es ihn. Mara war nur ein, zwei Jahre älter als Tiffany, seine Nichte, und Joe interessierte sich nicht für kleine Mädchen. Er mochte Frauen. Voll entwickelte Frauen, denen er nicht mehr zeigen musste, was sie mit Mund und Händen zu tun hatten. Frauen, die es verstanden, ihren Körper zu bewegen, um genau die richtige Reibung zu erzeugen. »Soll ich helfen?«, fragte sie.
Er zog einen Pinsel aus dem Sack. »Solltest du nicht schon längst im Park sein und Gabrielle helfen?«
»Das wollte ich ja, aber Kevin sagte, ich sollte diesen Kristallkram auspacken und aus dem Weg schaffen, falls Sie heute noch den neuen Tresen ausmessen wollen.«
Seine handwerklichen Fähigkeiten reichten nicht für den Bau eines Tresens. »Dazu komme ich wohl erst nächste Woche.« Ihm blieb nur die Hoffnung, sich in der nächsten Woche keine Gedanken mehr darum machen zu müssen. »Ist Kevin in seinem Büro?«
»Er ist noch nicht vom Mittagessen zurück.«
»Wer ist dann im Laden?«
»Niemand, aber ich höre ja die Glocke, falls ein Kunde kommt.«
Joe ergriff den
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