Das muss Liebe sein
gewesen, ihm seine unhöfliche Kritik zu verzeihen, allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt, und gerade hatte er die Grenze überschritten. »Du solltest jetzt gehen.«
Er kreuzte die Arme vor der Brust und verlagerte sein Gewicht auf einen Fuß. »Du schmeißt mich raus?«
»Ja.«
In unverhohlener Macho-Manier zog er die Mundwinkel hoch. »Meinst du, du bist stark genug?«
»Ja.«
Er lachte. »Auch ohne dein Haarspray, Miss Karate?«
Okay, jetzt war sie sauer. Sie versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, sodass er einen Schritt rückwärts machte. Auf den nächsten Schlag allerdings war er vorbereitet; er rührte sich nicht von der Stelle. »Du kannst nicht einfach in mein Haus eindringen und mich drangsalieren. Das muss ich mir nicht gefallen lassen.« Sie stieß ihn erneut, und er packte ihr Handgelenk. »Du bist ein Undercover-Polizist. Du bist nicht mein wirklicher Freund. Nie im Leben möchte ich einen wie dich zum Freund haben.«
Sein Lächeln erlosch, als hätte sie ihn irgendwie tief gekränkt. Was ausgeschlossen war. Um sich gekränkt zu fühlen, müsste er menschlicher Regungen fähig sein. »Warum nicht, zum Teufel?«
»Du bist von negativer Energie umgeben«, sagte sie, während sie verzweifelt darum kämpfte, sich aus seinem Griff zu befreien. »Und ich kann dich nicht ausstehen.«
Er ließ sie los, und sie wich einen Schritt zurück. »Gestern Abend konntest du mich aber durchaus ausstehen.«
Sie verschränkte die Arme, ihre Augen wurden schmal. »Gestern Abend war Vollmond.«
»Und was ist mit all diesen Aktgemälden, die du von mir angefertigt hast?«
»Was soll damit sein?«
»Keine Frau malt den Schwanz eines Mannes, den sie nicht ausstehen kann.«
»Mein einziges Interesse an deinem … äh …« Sie brachte dieses Wort nicht über die Lippen. Sie konnte dieses Wort einfach nicht aussprechen.
»Nenn ihn doch einfach Mr. Happy«, empfahl er ihr. »Oder Penis, das ist auch nicht schlecht.«
»Männliche Anatomie«, sagte sie, »ist rein künstlerischer Natur.«
»Du tust es schon wieder.« Er umfasste ihre Wangen. »Du erzeugst schlechtes Karma für dich selbst.« Mit dem Daumen berührte er leicht ihr Kinn.
»Ich lüge nicht«, log sie. Ihr Atem stockte, und sie ging davon aus, dass er die Absicht hatte, sie zu küssen. Doch er lachte nur, ließ die Hände sinken und wandte sich in Richtung Tür. Sie verspürte eine eigenartige Mischung aus Erleichterung und Bedauern.
»Ich bin eine professionelle Künstlerin«, beteuerte sie, während sie Joe ins Wohnzimmer folgte.
»Wenn du das sagst.«
»Ich bin's wirklich!«
»Dann will ich dir mal was sagen«, sagte er und nahm seine Schlüssel vom Tisch. »Wenn du das nächste Mal den Drang zu malen verspürst, ruf mich an. Du ziehst was von deiner frivolen Wäsche an, und ich zeig dir meine Anatomie. Ganz aus der Nähe und ganz, ganz privat.«
14. KAPITEL
Gegen Mitternacht warf Gabrielle die Dessous, die Joe auf ihre Bettdecke entleert hatte, zu Boden und kroch ins Bett. Sie schloss die Augen und versuchte, nicht an ihn zu denken, wie er in ihrem Zimmer gestanden hatte, wie seine breiten Schultern das T-Shirt mit den ausgetrennten Ärmeln ausfüllte, wie er den schrittfreien Slip vom Finger baumeln ließ. Er war der Zeit zurückgeblieben. Der anachronistische Albtraum eines jeden Mädchens. Er ärgerte sie schlimmer als jeder Mann, den sie jemals gekannt hatte. Sie sollte ihn hassen. Sie sollte ihn wirklich hassen. Er machte sich über ihre Überzeugungen lustig und jetzt auch noch über ihre Kunst, und ganz gleich, wie sehr sie sich anstrengte, sie konnte ihn doch nicht verabscheuen. Er hatte etwas an sich, ein gewisses Etwas, von dem sie sich angezogen fühlte wie ein gläubiger Moslem von Mekka. Sie wollte es nicht, doch ihr Herz gehorchte ihr augenscheinlich nicht.
Wenn es einen Menschen auf der Welt gab, den Gabrielle in- und auswendig kannte, dann war es sie selbst. Sie wusste, was vorteilhaft für sie war und was nicht. Manchmal irrte sie sich, wie damals, als sie glaubte, Masseurin werden zu wollen, um dann festzustellen, dass sie doch ein kreativeres Ventil benötigte. Oder als sie Kurse über Feng Shui belegt hatte und dabei merkte, dass sie stressbedingte Kopfschmerzen bekam, wenn sie die Gestaltung eines Raums so planen sollte, dass er bis zur Perfektion Frieden und Ausgeglichenheit vermittelte.
Als Resultat der verschiedenen Wege, die sie in ihrem Leben eingeschlagen hatte, verfügte sie über ein breites Wissen.
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