»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)
Deutschlands. »Die psychologische Rechtfertigung der Großen Koalition, also das Schlachten mancher heiliger Kühe, muss erst noch passieren.« Das »Schlachten heiliger Kühe« unterstrich Brandt und entschied am Rand: »Nein, Orientierung, gemeinsamer Nenner!« Also Versöhnung durch Zusammenarbeit statt außenpolitischer Tabubrüche auf Kosten des Koalitionsfriedens.
Alle anderen Zielsetzungen aus dem Vermerk übernahm er: Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den osteuropäischen und arabischen Ländern, eine NATO-Reform, sogar diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China. »Dies würde«, so schrieb ich, »ohne materiell viel einzubringen, das Erwachsensein der Bundesrepublik psychologisch am stärksten zum Ausdruck bringen.« Im Rückblick ist die außenpolitische Bilanz der Großen Koalition durchwachsen: weniger als erhofft und mehr, als erwartet werden konnte.
Der neue Minister wurde im Auswärtigen Amt respektiert. Von seinen beiden Mitbringseln aus Berlin galt Klaus Schütz, nunmehr Staatssekretär, als praktische Intelligenz und ich, nunmehr Leiter des Planungsstabes, als theoretische Intelligenz. Wenigstens waren wir nicht nur Parteisoldaten. Wie sich dieses Spitzentrio mit dem Corpsgeist des Amtes arrangieren würde, blieb abzuwarten. Nach siebzehn Jahren systematischer Personalpolitik der CDU verbot sich der befürchtete Kraftakt einer »sozialistischen Umschichtung«. Dafür fehlten nicht nur hinreichend befähigte Sozialdemokraten. Unser Prinzip von Loyalität und Leistung war auf allmähliche Veränderungen ausgelegt. Außerdem hätte es überhaupt nicht zu der Idee einer der Versöhnung dienenden Regierung gepasst, gleich mit einer Säuberung zu beginnen und die Nazivergangenheit der hohen Beamten zu überprüfen, mit der alleinigen Ausnahme des neuen Bundeskanzlers.
Meinen ersten Gedanken, »während der Flitterwochen« personelle Pflöcke einzurammen, verwarf ich schnell als schlicht weltfremd. Auch das Auswärtige Amt war im Dritten Reich der Gleichschaltung nicht entgangen. Bei einem auch nur etwas genaueren Blick zeigte sich, dass seine Beamten sich von denen in anderen Institutionen nicht wesentlich unterschieden, wenn auch die spezielle Ausprägung des diplomatischen Dienstes mit der Verwendung im Ausland nicht zu übersehen war: Charakter, Talent, Opportunismus, Unauffälligkeit und Herkunft erzeugten eine einzigartige Mischung. Beim Aufbau des Dienstes nach dem Krieg hatte die vorweggenommene Versöhnung den Namen Globke getragen. Das Netz der »Ehemaligen«, fast durchweg Mitglieder der NSDAP, hatte geradezu bewundernswert funktioniert.
In einem Ausblick, den ich für Brandt noch vor Weihnachten 1966 schrieb, definierte ich »drei Schichten: die Reaktivierten aus dem alten AA, die ›Neuen‹, überwiegend aus der Diplomatenschule in Speyer, und die ›Außenseiter‹. Die zweite Gruppe verbindet große Erwartungen mit echter Bereitschaft zur Zusammenarbeit.« Die Gruppe der Außenseiter sei sehr heterogen: Leute, deren schreiende Unfähigkeit »kein Grund gewesen sei, sie für ›gute CDU-Arbeit‹ nicht zu belohnen«, sowie die aus unterschiedlichen Gründen »zu kurz Gekommenen«.
Die Aufgabe, das gesamte Amt arbeitsfähig zu halten und zu integrieren, gab ich zu bedenken, verbiete jede selektive Personalpolitik: »Ein eiserner Besen von Personalpolitik unter parteipolitischen Vorzeichen wäre nur die andersgeartete Fortsetzung der bisherigen CDU-Politik.« Die Folgerung müsse heißen, »loyale Leistung zum obersten Maßstab« zu machen. Auf die Mitarbeit ausgesuchter »Ehemaliger« war nicht zu verzichten. Für »unsere Freunde« bedeutete das nachvollziehbare Enttäuschungen. Aus der SPD gab es Kritik und die Forderung, bisherige Opfer der CDU-Politik besonders zu fördern und auch geeignete Sozialdemokraten einzustellen. Aber Brandt blieb bei seiner Linie: Integration. Sie war nicht nur durch den Versöhnungscharakter des neuen Kabinetts begründet, sondern auch durch Erfahrung und Weitsicht.
Während seiner fast dreijährigen Amtszeit musste der Außenminister über zahlreiche Beschwerden und Wünsche entscheiden. Dabei war ihm Georg Federer als Leiter der Personalabteilung der wichtigste Berater und Helfer, nicht weil, sondern obwohl er »Parteigenosse« im alten Amt gewesen war. Er kannte seine Pappenheimer, wusste die Spreu vom Weizen zu trennen, war loyal dem Minister wie dem Amt gegenüber.
Unsere Prinzipien bewährten sich. Ich sah zum Beispiel Franz Krapf
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