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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
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Nicht-Anerkennung ließ die Bundesrepublik zunehmend in Gefahr geraten, sich selbst zu isolieren, zumal auch die Verbündeten begannen, eigene Entspannungsübungen zu erwägen.
    Der von uns geplante »Rahmenvertrag mit der DDR« brach mit vielen früheren Tabus und sagte im Klartext: Die DDR wird die volle Völkerrechtsfähigkeit erhalten; bleiben muss das Sonderverhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten, die füreinander nicht Ausland sind, sondern Teil einer Nation. Die Grenze zwischen ihnen muss – wie zwischen allen anderen europäischen Staaten – unter den allgemeinen Gewaltverzicht gestellt werden. Der bisher ungeregelte zivile Reiseverkehr zwischen Westberlin und der Bundesrepublik muss vertraglich vereinbart werden. Das alles verlangt am Beginn die Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion.
    Der Rahmenvertrag wurde später Grundlagenvertrag genannt. Dass er dann nach der sozialliberalen Regierungsübernahme 1969 zwischen den neuen Koalitionspartnern reibungslos vereinbart werden konnte, lag daran, dass ein Mitarbeiter im Planungsstab mir eröffnet hatte, er sei als Mitglied der FDP an einer Studie zu einem Grundvertrag mit der DDR beteiligt, der sogar die völkerrechtliche Anerkennung vorsah. Das war nach unseren Überlegungen unmöglich und wurde bei der FDP gestrichen. Brandt hatte mich damals fröhlich schmunzelnd ermutigt, »den Faden zu pflegen«. Im Ergebnis konnte ich den Entwurf für den außenpolitischen Teil der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Brandt so schreiben, dass Scheel ihn durchlas und ohne Änderungen akzeptierte. So kann als ein Resultat der Großen Koalition verbucht werden, dass ihre Nachfolger über das, was andere dann Ostpolitik nannten, nicht erst nachdenken mussten. Sie konnten sofort operieren.
    Die Wirklichkeit
    Erst in der Rückschau wird mir bewusst, wie tief ich in das noch unüberschaubare Feld der Arbeit im Planungsstab abgetaucht war. Die Achtundsechziger-Bewegung mit all ihren Aufregungen nahm ich nur am Rande wahr. Der Aufbruch der Jugend in Kalifornien hatte seine Fortsetzung in Europa gefunden und war nun auch bei uns angekommen. Die Freude darüber, dass die deutsche Jugend Teil einer internationalen Welle des Aufbruchs geworden war, blieb lange die einzige Empfindung.
    Die Leiter der Planungsstäbe der NATO-Staaten trafen sich in der »Atlantischen Planungsgruppe« (APAG). In dieser Institution gab es keine Beschlüsse, sondern einen informellen und lockeren Meinungsaustausch. In Norwegen erörterten wir schon damals NATO-Reformen im Hinblick auf das Verhältnis der USA und Europas zur Sowjetunion, ein bis heute aktuelles Thema, was das Verhältnis zu Russland betrifft. In Washington bekräftigten wir die Selbstverständlichkeit, dass strategische Atomwaffen allein Sache der beiden Supermächte bleiben sollten und dass die substrategischen sowjetischen Mittelstreckenraketen von uns nicht zu berücksichtigen seien. Die Meinung der europäischen Partner, insbesondere in London und Paris, sei in dieser Frage ohne Relevanz, falls sie sich überhaupt zu einer einheitlichen Auffassung durchringen sollten. Das hatte ich nicht vergessen, als einige Jahre später der NATO-Doppelbeschluss diskutiert wurde.
    Wo immer Außenminister Brandt hinkam, zwischen Japan, China und Amerika, wurde in den Kategorien von Macht, Einfluss und Interessen gedacht. Saudi-Arabien wurde zum Westen gezählt, obwohl es keine Demokratie war. Regierungen reden gern über Demokratie und Menschenrechte, aber denken und handeln machtpolitisch und geostrategisch. Man sollte sich da nichts vormachen.
    Über unsere »geostrategische Rolle« erhielten wir im Oktober 1968 in New York eine kostenlose Lehrstunde. Der dpa-Korrespondent reichte mir einen Zettel: »Der sowjetische Presseoffizier sagte mir: If Mr. Brandt wants to talk to Mr. Gromyko, the answer will be positive.« Natürlich wollte Brandt. Die erste freundliche Begegnung der beiden Außenminister brachte ein verbales Geschenk: Die sowjetische Regierung werde den atomaren Nichtverbreitungsvertrag erst dann ratifizieren, wenn die Bundesregierung ihn unterschrieben habe. Die Information machte Brandt so viel Spaß, dass er scherzhaft meinte: »Ich bin neugierig, ob ich das von meiner Regierung noch vor der Wahl erfahre.« Die Union stritt noch immer über die Unterschrift.
    Die erste Aufgabe als Sonderbotschafter hatte ich schon 1967 gelöst. Die Tschechoslowakei war das einzige europäische Land außer Albanien, in dem wir nicht

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