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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
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zu drängen. In dieser Lage schlug der Bundeskanzler dem amerikanischen Präsidenten vor, aus den sporadischen Begegnungen der vier Botschafter eine »permanente Konferenz« zu machen. Henry teilte mit, der Präsident habe dem Vorschlag zugestimmt; wir sollten uns schnell treffen. Eine Einladung an mich zum Start von Apollo 14 am 31. Januar 1971 auf Cape Kennedy sei veranlasst.
    In Washington wurde ich Vizepräsident Spiro Agnew vorgestellt, den ich ziemlich unsympathisch fand, und flog mit ihm ins sommerliche Florida, zwinkerte Henry kurz zu und erlebte den dröhnenden Start der Rakete, der den Boden vibrieren ließ. Anschließend traf ich Henry an Bord einer kleinen Maschine, zusammen mit Kirk Douglas, der genau meiner begeisterten Erinnerung an seine Filmrolle als »Spartacus« entsprach. Er wandte sich Henrys Kindern zu und ermöglichte uns ein Gespräch unter vier Augen. Das Ergebnis: Henry etablierte einen Mann des Marinegeheimdienstes in Frankfurt, weil er die CIA nicht für dicht hielt, und schuf so unter Umgehung des State Department einen direkten Kontakt zu Botschafter Ken Rush. Für die Abstimmung mit den Sowjets bat er uns um ein Papier. Willy war sehr zufrieden.
    Die Abstimmung mit meinen beiden sowjetischen Spielkameraden Slawa und Leo über die Struktur einer Berlin-Regelung ergab, dass ihr Fachwissen dafür nicht ausreichte. Also wurde Falin nach Berlin geholt. Unsere gemeinsame Sorge: Davon darf die DDR nichts erfahren. Wir brauchten achtzehn Stunden in zwei Tagen. Dann ließ mich Falin wissen, Moskau habe verdeckten Gesprächen zugestimmt und Washington habe erklärt, dass die offiziellen Instruktionen der US-Delegation im Kontrollrat nicht zu ernst zu nehmen seien. Ken Rush würde direkt nach Washington, Falin nach Moskau und ich dem Kanzler berichten. Das bedeutete unausgesprochen: Paris und London sollten erst informiert werden, wenn unsere Ergebnisse im Kontrollrat auf dem Tisch lägen, und Ostberlin erst nach dem erfolgreichen Ende der Vier-Mächte-Verhandlungen. Diese zeitsparende Konstruktion lebte vom System der direkten Kanäle und von der gemeinsamen Orientierung am Erfolg.
    Schon bis dahin war die Rückendeckung durch Brandt, Nixon und Breschnew unentbehrlich. Nun diskutierten Willy und ich die Substanz. Keiner der anderen Beteiligten konnte eine so genaue Vorstellung davon haben, wie das Ergebnis der Verhandlungen aussehen sollte. Den Kern des Abkommens musste eine auch von den Russen garantierte Regelung für den zivilen Verkehr bilden. Und der entscheidende Stolperstein musste beseitigt werden: die vergebliche Suche der Vier Mächte nach einer Einigung über den völkerrechtlichen Status von Gesamtberlin. Dafür konnte das erste Passierscheinabkommen mit seiner salvatorischen Klausel, dass über Amts-, Orts- und Behördenbezeichnungen keine Einigung erreicht worden war, ein Vorbild sein. Sie hatte gereicht, um die Substanz, die Passierscheine, zu regeln. Für eine vergleichbare Konstruktion mussten zunächst die Amerikaner gewonnen werden.
    Henry besorgte eine Einladung zur Bilderberg-Konferenz, die diesmal in Woodstock (Vermont) auf einem pompösen Landsitz stattfand. Für die großen Namen der Teilnehmer aus Politik und Militär, vor allem aus der Wirtschaft, die Tausende von Milliarden Dollar, Pfund und D-Mark repräsentierten, hatte ich wenig Sinn. Henry fand meinen Vorschlag einleuchtend und nannte ihn am nächsten Morgen, nach der notwendigen Zustimmung des Präsidenten, sogar »genial«. Wir würden uns auf die drei Westsektoren, ihr Verhältnis zu Bonn und den unbehinderten Verkehr konzentrieren. Niemand bezweifelte, dass die Vier Mächte die Kompetenz hatten, diese Fragen zu regeln, dass aber die beiden deutschen Regierungen die nötigen Transitvereinbarungen schließen müssten, die dann von den Vier Mächten gleichzeitig in Kraft gesetzt würden.
    Am Abend kam Henry auf Vietnam zu sprechen. Dass Brandt öffentlich die Wogen geglättet hatte, was ihm nach der völkerrechtswidrigen Bombardierung Kambodschas durch die USA nicht leichtgefallen war, habe Washington sehr wohl registriert: »Das ist wirklich ein Staatsmann.« Ich konnte nur nicken.
    Das Wort »Gesamtberlin« sollte im Vier-Mächte-Abkommen gar nicht vorkommen und durch die Formel »in dem betreffenden Gebiet« ersetzt werden. Henrys Fazit: »Das werden die irrsinnigsten Verhandlungen, von denen ich je gehört habe.« Mir fiel ein Stein vom Herzen. Obwohl wir Tempo und Richtung vorgaben, sprachen wir das Wort von

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