»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)
schlichten zu müssen. Die Deutschen einigten sich bis auf zwei Punkte: Die DDR bestand darauf, das Ganze »Vierseitiges Abkommen« zu nennen, während unsere Seite vom »Vier-Mächte-Abkommen« sprach. Schwierig wurde es mit dem englischen »ties« und dem russischen »swasi«. Beide Begriffe konnten als »Bindungen« oder »Verbindungen« übersetzt werden. Mein Hinweis auf den Unterschied zwischen der »amtlichen Bindung« und der »Verbindung« zu einer Frau fruchtete nicht. In der Praxis funktionierten beide Fassungen: Westberlin lebte auch weiterhin in »Bindungen« zum Bund, für die DDR waren es von der Sowjetunion garantierte »Verbindungen«.
In der turbulenten Schlussphase erwies sich Ken als unentbehrlich, wenn er Weisungen des State Department einfach ignorierte: Das Weiße Haus und er verstünden besser, was im Interesse der Vereinigten Staaten liege. Oder wenn er der CDU-Fraktion erklärte, wie erfolgreich das Abkommen sein würde; wer es ablehne, würde gegen die Politik des amerikanischen Präsidenten sein. Auch Moskau bewies Flexibilität: Gromyko war inkognito nach Berlin gekommen, wie ich über den Kanal erfuhr. Widerwillig stimmte er schließlich zu, dass die Westberliner Bundespässe erhielten. Die deutschen Vorstellungen konnten insgesamt durchgesetzt werden. Als Preis unterstützten wir den sowjetischen Wunsch nach einem Generalkonsulat in Westberlin.
Ken übermittelte Brandt den Ausspruch des nicht immer einfachen Nixon: »Auf den Mann kann man sich verlassen.« Er würde unsere Gruppe nur noch »die drei Musketiere« nennen. In bewährter Manier würden wir auch die Reduktion konventioneller Waffen schaffen. Auch deshalb kündigte ich später, im April 1974, dem Kanzler an, bis zum Ende des folgenden Jahres den ersten Truppenentflechtungsvertrag zu vereinbaren – im Vertrauen darauf, dass Geschichte eben auch von der richtigen Person zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle abhängt.
Nachdem die Vier ihre Arbeit mit dem Ausruf »Ende gut, alles gut«, dem einzigen Beitrag ihres sowjetischen Kollegen Pjotr Abrassimow, abgeschlossen hatten, folgten Jubel, Trubel, Heiterkeit und Glückwünsche aus aller Welt. In sechs Monaten war mehr erreicht worden, als allgemein erwartet. Vor allem taten alle so, als ob das Werk vollendet sei. Dabei fehlten die zwischen uns und der DDR auszubuchstabierenden Einzelheiten zum Transitverkehr, für den das Ganze schließlich begonnen worden war. Das erstaunliche Vertrauen, dass meinem ostdeutschen Verhandlungspartner Michael Kohl und mir plötzlich entgegengebracht wurde, war ungewohnt. Und Willy benutzte erstmals den innerdeutschen Plural: »Ihr werdet das schon machen.«
Ohne die Deutschen geht es nicht:
das Transitabkommen
Das Klima des Vertrauens, das sich während der Berlin-Verhandlungen zwischen den beiden Großen einstellte, wirkte sich auch auf das Verhältnis Bonn-Ostberlin aus. Sowjets und Amerikaner sorgten dafür, dass die Deutschen schon über Transitfragen sprechen durften, als die Vier im Kontrollrat noch am Anfang standen. Für mich hieß das: Ich lernte Michael Kohl kennen. Dazu benutzte ich den für Westdeutsche bestimmten Übergang Heinrich-Heine-Straße, hatte aber nur meinen Westberliner Personalausweis. Dem Offizier, der mich abweisen wollte, empfahl ich, den Staatssekretär Kohl anzurufen. Kohl wurde wütend und sprach von Provokation, bis ich ihn darauf aufmerksam machte, dass auch der Bundeskanzler einen Westberliner Personalausweis besäße. Wie würde dann wohl ein westdeutscher Staatsbesuch in Ostberlin gehandhabt werden? Zudem sei ich Bundesbevollmächtigter in Berlin und damit nach Auffassung seiner Regierung Inhaber eines rechtswidrigen Amtes. Bei unserem nächsten Zusammentreffen gab mir Kohl einen kleinen Ausweis, ausgestellt vom Ministerrat der DDR, mit der Nummer 000001, der alle Dienststellen anwies, den Inhaber zu unterstützen. Ich brauchte ihn nie, da mein Wagen nicht wieder kontrolliert wurde.
Michael Kohl und mich verband anfangs nur das gemeinsame Behagen darüber, dass die Vier Mächte auf unseren Erfolg warten mussten. Außerdem hatte mir Falin seine Einschätzung mitgegeben, mein Partner sei »ein anständiger Mensch«. Ich lernte ein Spitzenprodukt der DDR kennen: intelligent, auf die Materie glänzend vorbereitet, am Anfang verkrampft und unsicher. Dass ihm mein Ausspruch zugetragen worden war, gemessen an ihm sei Gromyko ein Playboy, hatte ihn nicht gerade lockerer gemacht.
Die Delegationen arbeiteten
Weitere Kostenlose Bücher