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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
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Während er dem Präsidenten Lech Wałęsa seine Aufwartung machte, lobte Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki Bundeskanzler Kohl für den historischen Akt des Staatsvertrages zur Oder-Neiße-Linie. Das wunderte mich, denn Kohl hatte sich zu dem Vertrag drängen lassen und die Grenze nicht um einen Millimeter verändert. Dann pries Mazowiecki Kohl, weil der das Verhältnis zu Polen auf eine Stufe mit dem zu Frankreich stellen und ein deutsch-polnisches Jugendwerk einrichten wollte. Der Name Willy Brandt fiel nicht. Ich konnte mich nicht zurückhalten, öffentlich darüber mein Erstaunen auszudrücken. Mazowiecki entschuldigte sich mit den Worten, der Kniefall sei unvergessen. Die Enttäuschung war verdoppelt.
    Aus dem Thema Familienzusammenführung entwickelte sich eine Groteske. »Vielleicht 40 000« Ausreisen sagten die Polen zu. Drei Jahre danach versuchte ich, weitere 120 000 zu erwirken. Eine Milliarde D-Mark wurden von polnischer Seite erwartet, die aber in keinem Zusammenhang mit den Ausreisen stehen sollten. Als Sanne und ich in den Verhandlungen bei 560 Millionen angekommen waren, beauftragte Brandt mich, darüber mit dem Finanzminister zu sprechen. Schmidt lehnte brüsk ab. Peinlich, das den Polen sagen zu müssen. Die reagierten mit Schweigen, denn die Summe war ihnen zu gering. Als Bundeskanzler sollte Schmidt dann etwas über eine Milliarde D-Mark zur Verfügung stellen und – ohne direkten Zusammenhang – über 100 000 Menschen gewinnen. Schließlich wunderte sich der polnische Botschafter, nachdem Helmut Kohl Bundeskanzler geworden war: »Früher haben wir Geld bekommen, damit die Menschen gehen, jetzt bekommen wir Geld, damit sie bleiben.« Das war in Kurzform eine Geschichte der deutschen Forderung nach Bewegungsfreiheit in Europa.
    Nach zwei prall gefüllten Tagen nahm mich Cyrankiewicz auf dem Flughafen an den Arm: »Wir müssen unser europäisches Gespräch fortsetzen.« Auch er lud mich zu Weihnachten nach Masuren ein. Ich bin bis heute nicht dort gewesen, denn zwei Wochen später wurden Gomułka und seine Mannschaft abgelöst. Drastische Preiserhöhungen wirkten stärker als die Bestätigung der Oder-Neiße-Linie. Auf dem Rückflug zeigte der Freund sich enttäuscht, melancholisch, unzufrieden: »Ich habe mehr erwartet.«
    Das Berlin-Abkommen:
ein Kunstwerk
    Kaum zurück in Bonn, beschied mich Brandt: »Du musst dich jetzt auf Berlin konzentrieren. Außerdem solltest du dich darauf vorbereiten, die Verhandlungen mit der DDR zu führen.« Dabei war es besonders günstig, dass ich neben der Aufgabe im Kanzleramt auch der Bundesbevollmächtigte in Berlin war. Brandt stützte meine Position, indem er Egon Franke feinfühlig davon überzeugte, dass sein Ministerium auch nach der Umbenennung von gesamt- zu innerdeutsch in Ostberlin noch als Provokation empfunden würde. Frankes Haus bekam den stellvertretenden Delegationsleiter. Vertreter des Innen-, Justiz- und Verkehrsministeriums und des Auswärtigen Amtes verstärkten die Delegation.
    Der Kanzler präzisierte, indem er den »sehr geehrten Herrn Kollegen Bahr« offiziell bestallte: »Ich beauftrage Sie, als Bundesminister für besondere Aufgaben Fragen der Entwicklung der Beziehungen mit der DDR zu bearbeiten und als Bevollmächtigter der Bundesregierung in Berlin tätig zu sein. Vorlagen, die sich in diesem Zusammenhang an das Kabinett ergeben, bitte ich mit den jeweils beteiligten Ressorts abzustimmen. … Mit freundlichen Grüßen, Ihr Willy Brandt.«
    In den Moskauer Verhandlungen war die Zuständigkeit der Siegermächte in der Berlin-Frage bekräftigt worden. Für uns ergab sich daraus die delikate Aufgabe, den Eindruck zu vermeiden, dass wir eine Führungsrolle beanspruchten, obwohl unsere diskrete Führung durchaus notwendig war; denn Amerikaner, Sowjets, Briten und Franzosen hatten es mit einer Berlin-Vereinbarung nicht eilig. Seit dem Frühjahr 1970 trafen sich ihre Botschafter einmal monatlich im Kontrollratsgebäude am Berliner Kleistpark und tauschten ihre kontroversen Standpunkte zum Vier-Mächte-Status aus. Dieses Verfahren hätte sich noch über Jahre hinziehen können. Aber die Lage hatte sich verändert.
    Seit wir eine befriedigende Berlin-Regelung zur Voraussetzung für die Ratifizierung des Moskauer Vertrages erklärt hatten, waren die Vier Mächte daran interessiert, diese Voraussetzung zu schaffen. Washington wollte die Brandt zugesagte Unterstützung der Ostpolitik damit verbinden, die Sowjets zum Entgegenkommen in Berlin

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