Das Musterbuch (German Edition)
Skizzenbüchern gezeichnet hatte. Und dazu eine marmorne Säule, an welche der Heilige gefesselt war...diesen Sebastian würde Giovanni nie mehr vergessen!
"Schau nur, den Heiligen Petrus will ich in goldgelbem Mantel erstrahlen lassen, als hellsten Teil des Werkes, denn hier beginnt ja zuerst das Betrachten und dann folgen Auflösungen in Grün-Rot über eine Vielzahl von Heiligen hinweg, Paulus, Johannes der Evangelist, Zeno und auf der anderen Seite Benedikt, Laurentius Gregor und der Täufer. Den goldenen Farbklang lasse ich dann mittels Füllwerk, Girlanden und Puttini fortsetzten, als klinge über das gesamte Werk eine zarte Melodie. Ja, warum eigentlich nicht: mir kommt gerade die Idee, Puttini als Musiker auftreten zu lassen! Und dann die Mutter Gottes, im Zentrum eines prächtigen Architekturgefüges!" "Das ist genial!" Giovanni hatte schnell seinen Kopf vom Sebastian weggedreht und folgte den Ausführungen Andreas. "Und wie kam dir die Idee eines durchgehenden Raumes, in dem Maria mit dem Kind thront?" "Ich wollte die Dreierform des Retabels durchbrechen und entwickelte so die Idee einer Loggia, einer Architekturform, der du hier in Verona auf vielen Plätzen begegnest: eine Verzahnung von Innenzu Aussenbau, eine Art Bezug vom Raum der Madonna zum Kirchenraum, in dem der Betrachter steht. Die Girlanden sind übrigens ebenfalls naturgetreu nachempfunden, denn sie werden an diesem Ort für Platzdekorationen verwendet. Es lohnt also immer wieder, die Augen beim Durchqueren einer Stadt offen zu halten und sich inspirieren zu lassen." Über das Sebastian-Bild wollte Giovanni in diesem Moment nicht sprechen. Er schlug vor, sich gemeinsam auf einem der Plätze nach etwas Trinkbarem umzuschauen, denn Giovanni wollte am späten Nachmittag noch weiter nach Padua reiten.
***
Selten hatte Giovanni so entspannt mit seinem Schwager plaudern können. Ob dies der positive Einfluss seiner Frau war? Nicolosia hatte längst wieder ihre alte gute Form angenommen; vergessen war die Zeit der Niedergeschlagenheit und Trauer. In ihren Mundwinkeln blieb gleichwohl ein leichter Schatten von Bekümmertheit.
Giovanni wurde von beiden herzlich verabschiedet und machte sich auf den Weg zum Vater und zum Bruder. Schliesslich hatten sie gemeinsam einen Auftrag angenommen und es sollte nicht heissen, dass er, der Jüngste, nur seinen Namen mit unter das Werk gesetzt habe.
Wie vertraut ihm die gute alte Stadt schon war bemerkte er, als er an der Scrovegni-Kapelle vorbei in Richtung piazza della frutta ritt. "Wo ist Vater?" Giovanni stürmte auf seinen Bruder zu, der an der Staffelei sass und an einem ganz stattlichen Heiligen Bernardino pinselte. "Vater ist in Monselice und schaut sich Jacopo Marcellos Ruinen an." Giovanni wusste, dass sein Vater eine Leidenschaft mit dem Schwager teilte: das Antikenstudium! Und er wusste, dass es eines Tages modern sein würde, all'antica zum Malen.
Giovanni Interesse für Skulpturen wuchs in dieser Zeit immens. Des Öfteren warf er einen Blick auf die 'Madonna mit Kind', einem Relief, das Meister Donatello für seinen Vater in Padua hinterlegt hatte. Eine Madonna mit Girlande - sagte Andrea nicht, man solle Alltägliches in die Malerei einbeziehen? -, eine Madonna mit gefalteten Händen mit Blick auf das Christuskind und mit einem antiken Torbogen, in Erinnerung an Mantegnas Sebastian, und Skizzen zu einer neuen Thematik im Schaffen Giovanni, die Beweinung Christi, wurden in dieser fruchtbaren Zeit in Padua begonnen. Dabei spürte er immer häufiger den Drang, die Skizzenbücher seines Vaters zu studieren und die vielen Ideen hierin fanden Einzug in sein Schaffen. Zärtlich hielt er eines der Blätter in den Händen: Johannes, der Lieblingsjünger, stand neben Christus im Sarkophag und umfasste den Leichnam mit beiden Händen unter dessen Achseln. Magdalena küsste zur Linken die eine Hand Christi, drei trauernde Frauen links und zwei Männer, Joseph von Arimathia und Nikodemus rechts schlossen das Figurenensemble ab. Der Kalvarienberg war rechts am Blattrand durch drei Kreuze angedeutet; im Hintergrund waren fünf Bergspitzen in bizarrer Form wiedergegeben. Aber am meisten beeindruckte Giovanni der lebensechte Christuskörper. Weiter hinten entdeckte er ein Blatt zur 'Taufe Christi'. Schon waren Block und Griffel hervorholt und Giovanni begann, den Christus als Auferstehenden mit Siegesfahne umzusetzen. Hierbei begann eine neue Idee zu entstehen...
Für Giovanni sollte es fortan eine Phase
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