Das Musterbuch (German Edition)
Bouts, Petrus Christus, genannt Piero de Fiandra , und vor allem Jan van Eyck hinterliessen grosses Interesse bei den Venezianern in ihrer Gestaltung des Landschaftsraumes.
Die Rolin-Madonna in der Kathedrale in Utrecht hatte eine Transparenz und Lichteffekte, welche in der venezianischen Malerei eine ganze Revolution an Tiefenwirkung und Landschaftsperspektive auslöste. Allen voran Giorgione, dem Initiator der maniera moderna in Venedig. Aber das war erst später…
Giovanni fing an, sich in die Malerei zu stürzen; dies war sein Mittel der Bewältigung emotionaler Konflikte. Seine Aufträge für die Santa Maria della Carità und für das Polyptchon für San Zanipòlo würden all' seine Kräfte kosten. Seit kurzem arbeitete mit ihm ein junger angehender Maler namens Lauro Padovano. Dieser unterstützte ihn bei den Materialbeschaffungen und ersten Grundierungen für die grossen Tafeln.
"Venedig nagt an mir" entfuhr es Giovanni, als er der Heiligen Katharina ein Engelsgesicht verlieh, das er wie selbstverständlich aus dem Gedächtnis zeichnete. Überall Elena! Er nahm den Griffel und durchfuhr mehrere Male das Blatt, so dass ausser etlichen Kratzspuren kaum noch ein Gesicht erkennbar war. Abrupt sprang er vom Pult auf und nahm seine mantella vom Haken. " Maestro, dové va ?" Nur noch hinter seinem Rücken vernahm er die Frage seines Gehilfen und verliess den Raum, und blieb ihm eine Antwort schuldig. Danach stand er schon bald an der Lagune, mit Blick auf die Giudecca und dachte über das Licht Venedigs und den Wasserdunst, der in Mark und Bein einzog, nach. Sollte dies der Schlüssel für seine Malerei werden? Ein Licht, mit Feuchtigkeit durchtränkt, eine Farbigkeit, die sich im Lichte aufzulösen schien? Wie sollte dies aber mit der undurchdringbaren Tempera-Malerei überhaupt möglich sein? Giovanni dachte an die Glasbläser in Murano, an die Zerbrechlichkeit ihrer dort gefertigten Objekte. Und hierin sah er ein Gesicht, umgeben von einem Kranz überirdischer Helligkeit, die hinter einem Vorhang hervorstiess. So wollte er die Heilige Caterina malen: unnahbar und doch so überaus wirklichkeitsgetreu.
Eigentlich wollte er zurück zum Atelier, doch als eine Barke an der riva anlegte, um Kisten aufzuladen, fragte er nach Mitfahrgelegenheit, um hinüber auf die Salute-Seite zu gelangen. Wie durch einen Traum zogen die Gedanken an ihm vorbei, als er den salzigen Duft des Wassers einatmete. " Vado alla Salute " rief ihm der Arbeiter zu. " Bene ", entgegnete Giovanni kurz. Die Barke fuhr zunächst in Richtung Dogana da Mar und dann entlang dem Zattere zur squèro , der Gondelwerft von San Trovaso. Hier liess sich Giovanni absetzen, um noch einen Blick in die Kirche zu werfen.
Der Eingang der Kirche war dem Rio zugewandt. Die einschiffige Kirche war schnell durchschritten; rechts vom Chor entdeckte Giovanni den Heiligen Crisogono vom Kollegen seines Vaters Michele Giambono gemalt. Wie ein Ritter wirkte der Heilige auf seinem Pferd.
Dann sah er das unglaublich zarte Relief: zwei Engel, die musizierten. Einer von ihnen hielt eine lyra da braccia an der Schulter, der andere eine Kithara. Noch weitere drei Gesichter erschienen in der hinteren Ebene. Dazu die architektonische Rahmung, die einen realen Ort suggerierte, mit einer Kassettendecke, wie er sie im Hause Loredan gesehen hatte. Welche Erregung ging ihm durch und durch beim Anblick dieser nur von einem Hauch von Stoff umschlungenen Engels-Beine. Giovanni ging wie benommen aus dem Kirchenraum und trat an die Werft, die um diese Zeit kaum belebt war. Zu Fuss machte er sich in Richtung San Sebastiano, danach schlenderte er zur Scuola di San Rocco und zum Campo San Polo. Er genehmigte sich einen guten Schluck Wein in einer Taverna und überquerte später die Rialto-Brücke. Den Weg von dort nach Hause, zu San Lio, hätte er im Schlafe finden können, doch irgendetwas zog ihn in die Gegenrichtung, in die Calle dell'Ovo. Hier betrieb Lucretia, die bekannteste Kurtisane der Stadt Venedig, ihr Geschäft. Giovanni, der sonst recht zögerlich in diesen Dingen war, begab sich wie ein reicher Kaufmann in den Vorraum des bordello und wartete genüsslich auf die bevorstehende neue Bekanntschaft. Kaum hatte er den Raum getreten, der ihm nach einem Glockenziehen wie von Geisterhand geöffnet wurde, da trat auch schon die Hausherrin in den Raum. Die vielen Blumenbilder an den Wänden schienen Augen zu haben; so kam es Giovanni wenigstens vor, denn hinter den Wänden wurde
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