Das Musterbuch (German Edition)
er erst gar nicht die steile, kleine Treppe, die zu einem galerieartigen Zwischengeschoss führte.
Hier erst machte sein Herz einen Sprung aus Freude, denn das Licht, das hinter den verhängten halbrunden Fenstern ganz oben auf ihn schien, war sonnig und warm; das Fenster links gab den Blick frei auf den grossen Garten nebenan: wilde Rosen, Limonenbäumchen, Thymian und Rosmarin dufteten ihm entgegen, so üppig war der Wuchs dieser Oase. Mein Atelier ! sagte er leise vor sich hin und sah im Stillen schon Tafeln und Staffelei aufgebaut.
Auf dem Weg nach unten wurde er eines Waschbeckens aus Speckstein gewahr, das sich gleich unter der Treppe befand. 'Schlafraum hier, Arbeitsraum oben', für Giovanni war die Wohnung oder vielmehr sein Atelier ideal!
Der Tuchhändler sah den Augen des jungen Mannes an, dass dieser bereit war, alles zu geben, um hier seine Unabhängigkeit aufzubauen. Wer wollte in seinem Alter noch dem Vater auf der Naht liegen?
Kapitel III
anno 1453
Die Ereignisse überschlugen sich, als bekannt wurde, dass der Konflikt im Frieden von Lodi beigelegt werden sollte. Der lange Kampf Venedigs gegen Mailand, den Francesco Foscari als Doge tapfer seit seiner Wahl im Jahre 1423 geführt hatte, sollte der Serenissima wieder Herrschaftsanspruch auf dem italienischen Festland bringen. Damit wären für den Handel wichtige Besitzungen gesichert.
Die wichtigste Instanz und gesetzliche Vertretung der Republik Venedig war der Grosse Rat, im Maggio consiglio. Bei der Ratsversammlung thronte der Doge vorn, denn er war derjenige, der den Rat präsidierte. Versammlungsort dafür war der eigens hierfür bestimmte Saal des Dogenpalastes – ein Raum von 1300m 2 ! - mit dem tribunale . Auch die wichtigsten Patrizierfamilien Venedigs waren während einer Sitzung des Rats vertreten. Sie sassen links und rechts des Ratssaales.
Zwar war politisch gesehen die Macht des Dogen durch den Grossen Rat eingeschränkt, doch der für aussenpolitische Belange zuständige Senat, ein Teil des Grossen Rates, stimmte dem Expansionsvorhaben des Dogen zu. Seit dem Jahre 1339 konnte Venedig seinen Besitzanspruch auf der terra ferma verteidigen und seit 1438 zählten gar die bedeutenden Städte Bergamo und Brescia neben den Städten Verona, Vicenza und Padua zu ihrem Landbesitz. Hier, in der bedeutenden Universitätsstadt Padua, trafen sich Künstler aus der Toskana, aus Venedig und aus der Lombardei: die Gehilfen, welche Filippo Lippi dort liess, Donatello, Francesco Squarcione, der Lehrer Mantegnas, Andrea Mantegna selbst und natürlich Jacopo Bellini.
Andrea fühlte sich an die Stadt Padua heimatlich gebunden, hatte er doch dort nach der Lehre bei Francesco Squarcione im Jahre 1448 endlich seine Selbständigkeit erlangt und konnte unmittelbar mit dem Auftrag für die Gestaltung der Apsis der Ovetari Kapelle in der Eremitani-Kirche beginnen. Dies forderte seine ganze Kraft! Wie gut, dass er in Niccolò Pizzolo, der so viel von Lippis Erfindungsgabe besass, einen so geduldigen Gefährten für die Ausmalung gefunden hatte.
Auch Gentile Bellini, der Sohn seines Freundes, kam für kurze Zeit nach Padua. Gentile hatte grosses Interesse an seinen Fresken der Ovetari-Kapelle in der Eremitani-Kirche gezeigt. Die Bewunderung seines zukünftigen Schwagers der Architekturteile im Fresko war immens, vor allem der 'Taufe des Hermogenus durch den Heiligen Jakob' und der 'Szene vor dem Richter'. Der perspektivisch angeschnittene Triumphbogen war eine kecke Erfindung - wie aber würde der Venezianer erst auf die Zeichnungen reagieren, in denen Andrea entsprechend der dramatischen Zuspitzung einzelne Motive bei der Abführung zum Martyrium in starker Untersicht erstellte? Vielleicht würde er Gentile eines Tages mit nach Mantua nehmen, um ihm die just entstehenden Fresken mit ritterlichen Themen des von ihm verehrten Pisanello im Palazzo Ducale zu zeigen, denn er sah in Gentile einen Schüler, der wissbegierig alles aufnahm.
Kaum legte er seine Palette ab, um intonaco , den neuen Putz, anzurühren, da betrat Niccolò Pizzolo den Kirchenraum der Eremitani, und neben ihm sein Meister, Francesco Squarcione. Was wollte Squarcione von ihm? Sie waren sich in den letzten Wochen nicht wohl gestimmt, weil er, der temperamentvolle Mantegna, seinen alten Lehrer gar als Ausbeuter beschimpft hatte. Aber war es nicht so, dass der Meister immer nur dann seine Schüler an grossen Dingen arbeiten liess, wenn er selbst in Zeitdruck geriet und diese Werke dann
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