Das Musterbuch (German Edition)
legte. Der Myrtenkranz wirkte unruhig auf ihrem glatten, offenen Haar, das weisse Gewand, das sie trug, war sehr festlich. Würde Andrea pünktlich zur Trauzeremonie in San Giovanni Bragora erscheinen? Noch war ihr nicht die Ankunft ihres Liebsten aus Padua gemeldet worden. Und wie unfair von Giovanni, sich über den verspäteten Bräutigam lustig zu machen!
Die Glocken von San Giovanni in Bragora riefen die Hochzeitsgemeinde zusammen und der dreischiffige Innenraum füllte sich schnell. Giovanni betrachtete den offenen Dachstuhl und die Tafelbilder aus der Werkstatt del Fiores: einfältige Martyrien gegen das grossartige Werk der Marienkrönung, dass Jacobello im Polyptychon von Teramo schuf - so den Berichten des Vaters Jacopo Bellini zufolge.
Giovanni Augen wanderten weiter, entlang der Reihen hinter ihm, und er stockte augenblicklich, als er ein ihm bekanntes Gesicht zu entdecken glaubte. Doch schon gab ihm der rechts von ihm sitzende Bruder einen Buff. Giovanni stand auf, so wie seine Mutter neben ihm und hielt das Barett verlegen in der Hand. Beim Einmarsch der Braut mit ihrem Vater konnte er das Gesicht der ihm bekannten Person genauer studieren: es war die junge Dame vom Brunnen!
Kaum waren die Orgeltöne verstummt, zögerte die hübsche Braut, sich zu setzen, denn einer der beiden Stühle, derjenige des Bräutigams, war noch nicht besetzt. Endlich stürzte der Paduaner entlang der Kirchenbänke nach vorn und Giovanni sah, wie der jungen Elena Loredan dabei ein helles Lachen entglitt. Auch die anderen Anwesenden mussten Schmunzeln und hofften zusammen mit dem Priester, dass Andrea die Braut in Zukunft nicht warten liess. Diese Hoffnung aber konnte der spätere, viel beschäftigte Hofmaler von Mantua nicht erfüllen!
Die Sonne schien warm an diesem Septembertag, als die Gemeinde sich auf dem Platz vor der Kirche versammelte, um den Brautleuten zu gratulieren. Giovanni stand als Bruder dicht beim Brautpaar, so dass er die Worte des Leonardo Loredan vernehmen konnte, seine Glückwünsche an die Jungvermählten aber auch Wünsche an den Brautvater. Der Patrizier Loredan fragte dann doch tatsächlich seinen Vater und berühmten Maler Jacopo Bellini, ob er ihn nicht eines Tages porträtieren wolle. Vater war bester Laune und entgegnete, dass er noch lieber die schöne Schwester als Modell sähe. Hierin musste Giovanni ihm zustimmen, zuminderst in Gedanken.
Dies war der Moment, sich deutlicher in die Gruppe zu drängen und das Barett zu ziehen: "Darf ich vorstellen: Gentile und Giovanni, meine Söhne und besten Lehrlinge." Natürlich hatte Gentile die Situation genutzt, und die Hand der hübschen Elena vor ihm zu greifen. Diese erwiderte mit einem Schmunzeln: "Ich hatte schon einmal die Ehre". "Ah", wurde nun auch ihr Vater neugierig, "meine Tochter verkehrt in Künstlerkreisen?" Bevor sie die Situation aufklären konnten, hatte Andrea den Arm Jacopos untergehakt und mischte sich mit ziemlich dreister Arroganz ein: "Porträtieren hörte ich? Das kann ich doch, falls du zu viel zu tun hast!", wobei er Elena zuzwinkerte. "Bei den vielen Bewerbern sehe ich mich lieber nach einem jüngeren Maler um, einen, der noch nicht so viel Disziplin von seinem Modell erwarten wird." Elena schaute direkt zu Giovanni, so dass ihm für einen Moment das Herz hüpfte.
"Mein Atelier befindet sich an der piazza San Lio . Melden Sie sich doch beizeiten". Damit machte er auch seinen Vater sprachlos und Andrea hatte nichts Besseres zu tun, als loszuprusten. ‚Gegen ihn werde ich mich noch zu wehren haben’, dachte Giovanni und verkniff sich jeden weiteren Kommentar.
***
Das Brautgemach war üppig geschmückt und die Feststimmung hatte ihren Höhepunkt erreicht. Während des ganzen Abends schon, den sie im engsten Familien-und Freundeskreis verbrachten, war Nicolosias Unruhe aufgefallen. Die schäkernden Jungfrauen an ihrem Rockzipfel gaben ihr unentwegt ein volles Glas Wein, das sie auszutrinken hatte. Andrea blickte hingegen ernst. Er machte sich Sorgen um die Gesundheit seiner jungen Frau, die doch auch unter dem weiten Gewand ihre üppige Bauchform kaum verbergen konnte. Wollte Sie überhaupt noch seine Nähe?
Währenddessen überfiel Giovanni, als die Tür zum Brautgemach geschlossen wurde, eine Unruhe und er suchte die kühle Abendluft. Entlang der Riva degli Schiavoni steuerte er vorbei am Campo San Biagio. Immer weiter trieb es ihn an die Riva dei Partigiani bis hin zur Isola di Sant’Elena. Was wollte er hier? Die Insel,
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