Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
riss
die Augen auf.
Conny war einer seiner Schützlinge gewesen, den er noch
besonders gut im Gedächtnis hatte. Eigentlich hieß er Conrad wie der Burgherr,
aber auf Burg Breuberg wurde er nur bei seinem Spitznamen Conny gerufen,
den er nicht besonders gern hörte.
Jetzt erkannte er ihn. Der Bengel war erwachsen geworden,
breit in den Schultern und von stattlicher Figur.
„Conny, mein Junge….“, entfuhr es dem Burghauptmann, aber
dann fiel ihm ein, dass er nicht mehr einen seiner Schützlinge, sondern einen
Ritter vor sich hatte. Seit der Beendigung der Knappenausbildung vor vier
Jahren hatte er ihn nicht mehr gesehen. Es hieß, er sei tot, umgekommen im
Heiligen Land. Umso mehr freute es ihn, den Jungen gesund und munter vor sich
zu sehen.
„Ich meine – äh, verbesserte er sich, „Herr Conrad von der
Lühe, seid uns willkommen!“
Er brüllte seine Wachen an, sofort das Tor zu öffnen. Das
mit dem Lieblingsschüler war etwas übertrieben. Auch wenn Conrad allen Gleichaltrigen
im Kampf überlegen war, hatte er es aber oft an Disziplin fehlen lassen und war
immer zu Streichen aufgelegt, was Gerold als Ausbilder so manches graues Haar
bescherte. Deshalb verpasste er ihm den Beinamen und auch seine Freunde nannten
ihn bald so: ‚Conny, der Unverbesserliche.’ Auch wenn er sich noch an die
Streiche seines einstigen Knappen erinnerte, als wäre es erst gestern gewesen,
freute Gerold sich ehrlich, ihn entgegen anders lautender Nachrichten lebend
wieder zu sehen.
Im Gegensatz zu anderen seiner Schützlinge galt für Conrad
immer das Gebot, niemals unfair zu kämpfen, auch nicht, wenn man dem Gegner
unterlegen war. Allerdings war Conrad selten einem Gegner unterlegen gewesen,
selbst die älteren Knappen hatten großen Respekt vor ihm gehabt.
Als Gerold die Stiege hinabgeklettert war, passierten die
Ankömmlinge bereits die herabgelassene Zugbrücke und das Tor. Conrad sprang vom
Pferd, packte seinen ehemaligen Ausbilder bei den Schultern und begrüßte ihn
wie einen alten Freund. Das nötigte dem griesgrämigen Gerold ein Lächeln ab,
zum Erstaunen seiner Leute, denn seine schlechte Laune war geradezu
sprichwörtlich.
„Es ist eine Freude, Euch zu sehen, Ritter Conrad“, begrüßte
er seinen ehemaligen Schüler. „Wir haben Nachricht bekommen, Ihr wäret auf dem
Rückweg aus dem Heiligen Land umgekommen.“
„Das wäre auch beinahe geschehen“, antwortete Conrad. „Von
wem erhieltet Ihr die Nachricht?“
„Vor ein paar Tagen kam ein berittener Bote aus Mecklenburg
und berichtete davon.“
„Hat mein Vater ihn geschickt?“
„Ich weiß es nicht, nehme es aber an, sein Wappenrock trug
Euer Wappen.“
Conrad runzelte die Stirn. Demnach hatte sein Vater die
Nachricht bereits wenige Wochen nach dem Überfall erhalten. Wer konnte ihm die
Botschaft geschickt haben? Hoffnung keimte in ihm auf. Gab es vielleicht doch
Überlebende unter seinen Waffenknechten?
Vielleicht konnte Conrad von Breuberg ihm näheres sagen.
„Ist der Burgherr anwesend?“, fragte er Gerold und sah zum Bergfried empor, wo
die Fahne mit dem Wappen Conrads von Breuberg von seiner Anwesenheit kündete.
Er konnte sich aber ebenso gut auf einem Ausritt befinden.
„Er ist da und Eure Ankunft wird ihm bereits gemeldet. Die
Herrschaften werden sich freuen, Euch lebend und gesund zu sehen.“
Der herbeigeeilte Pferdeknecht nahm die Tiere am Zügel und
führte sie zusammen mit Antonia, die Hektor übernahm, zu den Ställen.
Nach einer kurzen gegenseitigen Vorstellung führte Gerold
die Gäste über den Hof in Richtung Kernburg. Auch Antonia stieß wieder zu
ihnen, nachdem Conrads Schlachtross untergebracht war.
Erstaunt und beinahe ehrfurchtsvoll sah Line sich um. Die
hohen, dunklen Mauern, die während des Aufstiegs zur Burg so abweisend und
bedrohlich gewirkt hatten, vermittelten hier im Inneren des Vorhofes Schutz und
Geborgenheit.
Das Gelände stieg steil an und weiter oben sah sie ein
weiteres Tor, hinter dem sich die trutzige Hauptburg erhob, überragt von dem
gewaltigen Bergfried. Noch nie hatte sie ein so großes Gebäude gesehen, das
dazu noch vollständig aus Stein gebaut war. Mit den mächtigen Mauern, dem
Burggraben und den Wehrgängen erschien die Feste ihr uneinnehmbar.
Anders als sie es sich vorgestellt hatte, pulsierte im
Inneren der Burgmauern das Leben. Hühner scharrten im Burghof, Knechte und
Mägde liefen geschäftig hin und her.
Zwei Mägde saßen auf einer Bank und rupften Gänse, während
sie
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