Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
während
der Fastenzeiten. Fleisch von Vierbeinern wurde nur an Feiertagen aufgetischt.
Zu den Speisen wurde Wasser, verdünnter Wein oder Dünnbier
gereicht. Seit ihrer ersten Blutung galt Line nicht mehr als Kind und durfte
ebenfalls diese leicht alkoholischen Getränke genießen.
Während des Essens galt das Schweigegebot. Hiervon
ausgenommen war nur die Nonne, die von einem erhöhten Platz aus Texte aus der
Bibel vorlas.
Gierig schlang Line die Suppe in sich hinein, die
missbilligenden Blicke der Nonnen störten sie nicht.
Seitdem sich ihr junger Körper seit einigen Monaten
streckte, verspürte Line fast immer Hunger. Aber obwohl ihr die Priorin Ita
manchmal unter Hinweis auf ihr schnelles Wachstum mehr als die ihr zustehende
Ration zukommen ließ, war sie fast erschreckend dünn.
Nach dem Essen nahm Schwester Ita ihren Schützling beiseite,
um mit ihr unter vier Augen zu sprechen. Line rollte mit den Augen. Jetzt
folgte sicher die unvermeidliche Strafpredigt. Doch zu ihrer Verwunderung
führte die Priorin sie in den Kräutergarten und fragte sie über die
Wirkungsweise der verschiedensten Kräuter aus, während sie gemütlich zwischen
den Beeten herum schlenderten. Line blieb keine Antwort schuldig und ihre
Lehrerin lächelte wohlwollend.
Schließlich ließ Ita sich auf einer Bank nieder und forderte
das Mädchen auf, sich neben sie zu setzen.
Eine Weile schwiegen sie. Dann stellte die alte Nonne die
von Line befürchtete Frage. „Dieses Vorkommen , hast du etwas daraus
gelernt?“
Natürlich meinte sie Lines kleinen Streich, weshalb sie die
Nacht büßend und betend in der Kirche hatte verbringen müssen.
Line senkte den Blick und Schwester Ita ließ ihr Zeit, über
ihre Verfehlung nachzudenken.
Es war gar nicht so einfach gewesen, mit Hilfe von
selbstgebauten Fallen Mäuse zu fangen und in einen Sack zu stecken, den sie zu
diesem Zweck ein paar Tage zuvor heimlich aus dem klostereigenen Kornspeicher
entwendet hatte. Dann brauchte sie nur noch warten, bis Schwester Urte endlich
zu Bett ging, was sie jeden Abend zur gleichen Zeit tat, nämlich nach der
Komplet, dem letzten Gebet des Tages. Als Line in ihrer Nische neben der Zelle
endlich die gleichmäßigen Schnarchgeräusche aus der Zelle der Nonne gehört
hatte, war sie so leise es ging hinein geschlichen. Die Tür knarrte und ihr war
vor Schreck fast das Herz stehen geblieben. Aber Schwester Urte war mit einem
gesunden Schlaf gesegnet und hatte friedlich weiter geschnarcht, wobei sie ab
und zu schmatzende Geräusche von sich gab.
Selbst im Schlaf futtert die noch , hatte Line gedacht
und flink den Sack geöffnet, um ihre piepsenden Schützlinge zu befreien, die in
dem kargen Raum kein Versteck fanden und panisch durcheinander rannten. Bei
ihrem schnellen Rückzug schlug Line dann die Tür etwas zu heftig zu, so dass Schwester
Urte aufgewacht war. Kurz darauf schrillten die Schreie der zu Tode
erschrockenen Nonne durch das stille Kloster.
Unwillkürlich musste das Mädchen schmunzeln, als sie daran
dachte, wie Schwester Urte kreischend aus ihrer Kammer gestürzt war. Es war ein
zu komischer Anblick gewesen, den die dicke Nonne bot, als sie mit gerafftem
Hemd über den Hof rannte, mit ihrem Geschrei das gesamte Kloster in Aufruhr
versetzend.
Die erschreckten und verängstigten Nonnen waren aus ihren
Zellen in den Hof gestürzt, um zu sehen, was geschehen war. Line versuchte,
sich das Grinsen zu verkneifen und bemühte sich, ein möglichst zerknirschtes
Gesicht zu machen.
„Was hast du daraus gelernt?“, fragte die Priorin jetzt
streng und riss das Mädchen damit aus ihren erbaulichen Erinnerungen.
„Naja“, Line senkte den Kopf, dann grinste sie die Priorin
keck an. „Ich habe gelernt, dass auch die dickste, schwerfälligste Nonne ganz
schön schnell rennen kann…“
„Schäm dich“, fiel ihr Ita tadelnd ins Wort, aber sie
brachte es nicht fertig, ihre Stimme angemessen zornig klingen zu lassen.
„Schwester Urte hat Flecki über die Klostermauer geworfen,
weil ich nicht immer mit ihm spielen sollte“, verteidigte sich das Mädchen mit
vor Entrüstung piepsiger Stimme. Ihre dunklen Augen schienen Funken zu sprühen
wie glühende Kohlen.
„Mäßige dich, Kind“, mahnte die Nonne.
Line senkte scheinbar demütig den Kopf. „Ich habe ihr
gesagt, dass Katzen nützlich sind, weil sie Mäuse fangen. Aber sie hat nicht
auf mich gehört. Da dachte ich, sie mag Mäuse…“
Das Mädchen machte ein so unschuldiges Gesicht, dass
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