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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Schoppe fort. »Vielleicht waren es sogar noch mehr. Seneca sagt 40 000, aber Ammianus Marcellinus spricht von 70 000 und Aulus Gellius von 700 000, während Cicero, Strabo, Livius, Lukan, Florus, Sueton, Appian und Athenaios, die über den Brand im Hafen von Alexandria berichten, kein Wort über die Bibliothek verlieren.«
    »Die Wahrheit ist«, sagte Guyetus, »dass wir Philologen, Historiker und Literaten alle einen geheimen Kummer haben. Einsam beweinen wir des Nachts, wenn uns der Kopf schon auf die Bücher gesunken ist, irgendein Werk von Aristoteles, Platon, Sophokles oder Demosthenes, von dem es heißt, es habe existiert, das aber nach vielen Jahrhunderten auf geheimnisvolle Weise verschwunden ist. Es ist das Werk, das uns erlauben würde, hundert zweifelhafte Textstellen zu verstehen, tausend Lücken zu füllen, hunderttausend Fehler der Kopisten zu korrigieren. Horaz schreibt etwas, was man kaum versteht, und fügt hinzu: Das habe ich in einem anderen Werk besser erklärt – aber das Werk ist verschwunden, niemand hast es je gesehen. Oder Polybios gesteht: Meine Quelle für dieses ganze Werk war das Buch von Soundso. Aber die Werke dieses Soundso sind nicht überliefert. Werden wir sie je kennenlernen? Wenn alle Kopien vernichtet sind, wird unser Weinen nie aufhören. Das Gedächtnis der Menschheit geht verloren, und es gibt keine Abhilfe. Nur in einem einzigen Moment der Weltgeschichte wurde der Gedächtnisverlust bekämpft: als der ägyptische König Ptolemaios |348| II. beschloss, in seinem Alexandria die vollkommene Bibliothek zu gründen, um alle Bücher der Welt dort zu versammeln. Eines bösen Tages wurde sie angezündet, egal ob von Julius Cäsar oder 600 Jahre später von den Arabern. Welche und wie viele unschätzbar wertvolle Meisterwerke gingen verloren? Wir weinen, alle Philologen weinen, denn niemand kann es genau sagen, und wenn wir es wüssten, würde uns das Herz brechen.«
    »Und die griechischen Handschriften«, ergänzte Schoppe, »die von den Malatesta aus Cesena vor zweihundert Jahren in Konstantinopel bestellt und auf der Überfahrt während eines Sturms ins Meer geworfen wurden, um das Schiff leichter zu machen? Xenophon erzählt, als er von Thrakien hinauf nach Salmydessos reiste, habe er in Untiefen gesunkene Schiffe entdeckt, die ganze Sammlungen an Papyrusrollen mit sich führten. In seiner Biographie des Terentius berichtet Sueton von einem gewissen Quintus Cosconius, der behauptete, bei einem Schiffbruch habe er die soeben angefertigte lateinische Übersetzung von hundertacht, ich wiederhole, hundertacht griechischen Komödien des Menander verloren, die damit für immer dahin waren. Und erzählt nicht auch Poggio Bracciolini, dass er das Werk des Quintilian auf dem Verkaufstisch eines Händlers entdeckte, der die Seiten benutzte, um Käse, Oliven und Schinken darin einzuwickeln?«
    Unterdessen hattest du, lieber Atto, dich zu unserer Gruppe gesellt. Mit war nicht entgangen, dass du dich mit mühsam unterdrücktem Zorn von Barbello entfernt hattest: Deine geheimnisvolle, in der Verkleidung eines Kastraten steckende Geliebte war damit beschäftigt, Naudé zu versorgen. Zu sehr für deinen Geschmack, zumal der Bibliothekar, obwohl noch benommen, über diese Aufmerksamkeiten entzückt zu sein schien und keine Gelegenheit versäumte, ihr die Hände zu drücken. Naudé mit seinen widernatürlichen Neigungen hofierte ein Wesen, das er für einen Kastraten hielt. Das mysteriöse Weib entwand sich sanft seinem Zugriff und fuhr fort, ihm, nach Kemals Rat, kalte Steine auf die Schwellung am Kopf zu legen. Doch reichte sie ihm auch eine Wurzel, was Naudé mit schmachtenden Blicken quittierte.
    »Wie ereignete sich der Brand der Bibliothek von Alexandria?«, fragtest du, dem unwürdigen Anblick den Rücken zudrehend.

|349| DIALOG
    Darin man erfährt, dass die Bibliothek von Alexandria niemals in Brand gesteckt wurde, weder von Cäsar noch von anderen, ja, dass sie sogar niemals existierte.
    Eines Nachts, erzählte Guyetus, näherte sich ein Boot mit einem Teppichhändler der Residenz des Königs Ptolemaios, wo in jenen Tagen Julius Cäsar zu Gast war. Der Teppichhändler stieg mit einem Bündel über der Schulter aus dem Boot und bat, zu Cäsar vorgelassen zu werden. Als er in dessen Gemächern war, rollte der Teppichhändler das Bündel auf und ihm entstieg die schöne Prinzessin Cleopatra, die Tochter des Ptolemaios. Dem Bericht des Historikers Plutarch zufolge war Cäsar entsetzt über

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