Das Mysterium der Zeit
die Dreistigkeit der Frau, die ihn ungezwungen und verführerisch auf Griechisch ansprach. Sie bat ihn, im Streit um die Thronfolge zwischen ihr und ihrem Bruder zu vermitteln. Umgarnt von der betörenden Prinzessin willigte Cäsar ein. Zur Feier der Versöhnung wurde ein großes Fest veranstaltet, doch Cäsars Barbier, ein ergebener, treuer Sklave, fürchtete, das Ganze diene nur dazu, seinen Herrn zu täuschen und abzulenken. Er streifte durch die Räume des Palastes, spionierte, lauschte und entdeckte, dass der Heerführer Achillas und der Eunuch Potheinos Cäsar noch am selben Abend töten wollten. Der treue Barbier schlug Alarm, Potheinos wurde gefasst und getötet, Achillas aber floh und zettelte eine Revolte gegen Cäsar an. Dieser verbarrikadierte sich im Palast. Wie das Feuer ausbrach, erzählt nur der Dichter Lukan: In der belagerten Residenz befahl Cäsar, aus den Fenstern brennende Pechfackeln auf die Schiffe zu werfen, die unterhalb der Mauern der Residenz auf den Angriff warten. Die Schiffe fingen Feuer, das sich bis zum Hafen ausbreitete. Nun befanden sich in den Hafengebäuden zufällig gerade vierzigtausend Papyrusrollen von großem Wert. Das erzählen Cassius Dio und Orosius, die ihrerseits bei Titus Livius Anleihen machen. Die Papyrusrollen waren wahrscheinlich von Buchhändlern Alexandrias zum Export bereitgelegt. Cäsar berichtet nur von dem Brand der Schiffe, nicht aber von den Büchern. Einer seiner Statthalter, der Cäsars
Commentarii
fortsetzte, erzählt sogar, dass im Hafen von Alexandria ausgezeichnete feuerbeständige Materialien verwendet wurden.
Cäsar siegte, als Verstärkung vor den Stadtmauern auftauchte. Ptolemaios |350| wurde im Nil ertränkt und Cäsar setzte Cleopatra, die inzwischen seine Geliebte geworden war, auf den Thron, während ein anderer Bruder ihr offizieller Ehemann blieb. Der Rest ist bekannt: Nach dem berühmten Attentat auf Cäsar in Rom gab Cleopatra sich dem neuen Machthaber Antonius willig hin, doch dieser erlag Octavius im Kampf. Dieses Mal konnte Cleopatra den Sieger nicht verführen, sie wählte den Freitod durch den berühmten Vipernbiss.
»Dann hatte das Feuer nichts mit der Bibliothek zu tun?«, fragtest du.
»Das weiß man nicht«, antworte Guyetus achselzuckend. »In Wahrheit weiß man nicht einmal genau, wo die Bibliothek überhaupt erbaut wurde.«
In dem Stadtviertel namens Bruchion, wo die Bibliothek gestanden haben soll, gebe es keinerlei Hinweise, erklärte der Pariser Philologe. Lag sie innerhalb oder außerhalb der Residenz? Im oder außerhalb des Museion, des großen Komplexes für Forschung und Lehre, den Ptolemaios nach dem Vorbild des berühmten Lykeion von Athen hatte erbauen lassen? Wenn der Brand der Bibliothek durch die von Cäsar angezündeten Schiffe entstanden war, musste sie in der Nähe der Residenz und des Hafens gelegen haben. Der römische Historiker Strabo, der die Schauplätze des Geschehens genau kennt, sagt nicht, dass die Bibliothek im Museion lag. Bei dem berühmten byzantinischen Gelehrten Johannes Tzetzes ist hingegen von einer Bibliothek des Museion innerhalb der Residenz die Rede. Gellius, Plutarch und Ammianus Marcellinus sprechen von einem »Brand der großen Bibliothek«. Da das Museion bei dem Feuer nicht zerstört wurde, hat man vermutet, dass es von der verbrannten Bibliothek getrennt war. Doch warum sollte die Bibliothek nicht in dem Museion gelegen haben, wo die Gelehrten lebten, die Tag und Nacht die Bücher der Bibliothek konsultierten?
»Mir scheint, die Geschichte der Bibliothek von Alexandria ist voller Widersprüche.«
»Und wenn sie nicht von Cäsar zerstört wurde, wann dann?«, fragte Schoppe. »Arabischen Autoren zufolge soll es im siebten Jahrhundert nach Christus geschehen sein. Nachdem Amr, ein Vasall des Kalifen Omar, Alexandria erobert hatte, erfuhr er, dass ihm unter anderem die größte Bibliothek der Welt in die Hände gefallen war. Die Gelehrten der Stadt baten Amr, diese Schätze nicht fortzubringen, und er fragte |351| Omar, was er tun solle. Der Kalif ließ ihn lange warten, dann antwortete er in einem Schreiben: ›Wenn diese Bücher mit dem Koran übereinstimmen, sind sie überflüssig, denn wir brauchen nichts als das Wort des Propheten. Stimmen sie hingegen nicht mit dem Koran überein, sind sie schädlich. Also verbrenne sie‹. Alexandria hatte viertausend beheizte öffentliche Bäder, die Bücher sollen als Heizmaterial benutzt worden sein, und es soll über sechs Monate gedauert
Weitere Kostenlose Bücher