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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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beten.

    Die Operation war äußerst grausam. Malagigi, Mustafa und du wurdet gerufen, um Hardouin festzuhalten. Nachdem er das Messer über dem Feuer zum Glühen gebracht hatte, gebrauchte Kemal es so, wie er musste, was jedoch keiner von uns sah, denn schon als die glühende Klinge sich über den armen Buchhändler und werdenden Vater senkte, legten wir uns alle unwillkürlich die Hände über die Augen. Doch wir rochen den Gestank verbrannten Fleisches und unsere Trommelfelle wurden von den Schreien des Elenden fast zerfetzt. Als wir wieder hinsahen, war Hardouin ohnmächtig, doch der Blutstrom war tatsächlich versiegt.
    Kemal verarztete die Wunde mit einer dicken Schicht aus selbst zubereitetem Pflanzenbrei und verband sie mit Stoffstreifen, die er von seinem Hemd abgerissen hatte.
    »Jetzt bleibt uns nur, ein paar Stunden abzuwarten, was mit dem Ärmsten passiert«, verkündete Ali Ferrareses Statthalter. »Mustafa, schüre das Feuer, denn der Nazarener darf nicht frieren.«
    Wir kauerten uns in Grüppchen um das Feuer: Ich neben Schoppe und Guyetus, du natürlich bei Barbello, der jedoch Naudé half, sich weiterhin kalte Steine auf die Stirn zu legen, Malagigi lauschte irgendwelchen Piratengeschichten von Kemal, während Mustafa das Feuer hütete wie eine Vestalin. Er hatte trockene Zweige und Wurzeln gesammelt, die er über den Flammen garte. Ohne Gewehre gab es tatsächlich keine Hoffnung auf üppigere Verpflegung. Wir würden gewiss nicht satt werden, aber es war immerhin etwas.

|346| DISKURS XLVII
    Darin die Aufzeichnungen Bouchards wieder ins Spiel kommen.
    »Sonderbare Geschichte«, bemerkte ich, an Bouchard zurückdenkend, während ich Schoppe eine dicke Wurzel unbekannter Art reichte, die nicht ganz durchgegart, aber schön heiß war. »Wer würde wollen, dass das Andenken an die eigene Person nach dem Tod so verunglimpft wird?«
    »Eben. Seien wir also wachsam«, bestätigte Schoppe halblaut, den Mund hinter der Wurzel, in die hineinzubeißen er sich anschickte, und mit einem Blick auf den am Feuer liegenden Naudé. »Denn unser lieber Gabriel könnte über diese Geschichte mit ihren allzu vielen Widersprüchen mehr wissen als wir ahnen. Glaubt Ihr nicht auch, Signor Secretarius? Hört Ihr mir zu?«
    »Verzeiht«, entschuldigte ich mich, »ich habe erst jetzt gemerkt, dass Hardouin die Liste mit den Lügen der antiken Historiker aus der Hand gefallen ist.«
    Ich stand auf, um den Packen Blätter einzusammeln.
    »Natürlich frage ich mich«, hub ich wieder an, ebenfalls zu einer gerösteten Wurzel greifend, »warum die Kommentatoren aller Zeiten nichts bemerkt haben. Wie haben diese Handschriften Jahrhunderte überleben können, ohne je Zweifel zu erregen? Warum haben die großen Bibliotheken der Vergangenheit derartige Hirngespinste aufbewahrt und weitergegeben, statt sie gleich auf den Komposthaufen zu werfen? Konnte man die albernen Geschichtchen, die wir zum Beispiel über Aischylos und Anakreon gelesen haben, schon in der Bibliothek von Alexandria lesen?«
    »Wer wird das je entscheiden können? Diese herrliche Bibliothek, die größte der antiken Welt, wurde von Julius Cäsar im Jahr 48 vor Christus zerstört!«, jammerte Guyetus, der seine Wurzeln im Handumdrehen aufgegessen hatte und nun ungeduldig auf die nächsten wartete, die Mustafa soeben aufs Feuer gelegt hatte.
    »Ein trauriges Kapitel, lieber Guyetus«, bestätigte Schoppe, »aber in einem Punkt irrst du. Die Bibliothek wurde 270 nach Christus von Aurelian zerstört.«
    »War es denn nicht Theodosius 391?«, erlaubte ich mir zweifelnd zu fragen.
    |347| »Nun, es gibt auch Leute, die behaupten, dass sie 642 nach Christus von den Arabern zerstört wurde«, erwiderte Schoppe. »Daran ist dieser Betrüger Scaliger schuld, der mit seinem Wahn, alles zu datieren, ein gewaltiges Durcheinander angerichtet hat.«
    »Caspar!«, brauste Guyetus auf. »Reicht es dir nicht, dass du Scaliger mit deinen Unterstellungen umgebracht hast, nur um dich ins rechte Licht zu rücken?«
    »Ach, Schluss damit«, zischte Schoppe. »Wie soll ich euch nur erklären, dass ich nicht wie dieser gerissene Galileo bin? Ich schreibe keine Bücher für Ruhm oder Geld, ich spiele nicht das Opfer, nur um meine Bücher zu verkaufen!«
    Guyetus machte eine resignierte Handbewegung und brummte Verwünschungen in sich hinein.
    »Wie auch immer, niemand wird uns je sagen können, was unter den 40 000 Büchern war, die mit der Bibliothek von Alexandria verbrannt sind«, fuhr

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